Der Kalligraph Des Bischofs.
ist, wenn ich mich verkleide?« Germunt wandte sich zur Magd. »Würdet Ihr mir Eure Kleider leihen?«
»Also, das ist doch …« Die Angesprochene stemmte die Hände in die Hüften. Dann wanderten ihre Augen durch den Raum. »Aber
ich habe da einige Lumpen aufbewahrt –«
»Wunderbar.« Germunt zog sich das Hemd über den Kopf. »Stilla, könntest du …«
»Ja, natürlich.« Die Blinde trat zu ihm heran und begann, seinen Verband abzuwickeln.
Germunt hielt die Arme über dem Kopf verschränkt.
Sie weiß schon ohne Worte, was ich brauche.
Er hätte gelächelt, wäre da nicht der Gedanke gewesen, daß in den nächsten Stunden alles zu Ende gehen konnte. »Ich danke
dir«, sagte er so leise, daß nur sie es hören konnte.
»Paß gut auf dich auf«, war ihre gleichfalls leise Antwort.
»Otmar, würdet Ihr ein altes Mütterlein durch die Stadt führen?«
Der Jäger verzog leidvoll das Gesicht. »Gibt es keine andere Lösung? An jeder Ecke wird man denken: Dieses Mütterchen haben
wir hier ja noch nie gesehen! Und irgendwo will dann ein Büttel, daß Ihr Euer Gesicht zeigt.«
»Habt Ihr einen besseren Vorschlag?«
Otmar schwieg einen Moment. »Nein.«
»Dann seid Ihr bereit?«
»Ich mache es. Aber ohne Bogen kann ich nicht viel für Euch tun, wenn sie uns entdecken.«
»Das ist in Ordnung. Sie werden keinen Verdacht schöpfen. Ich werde die ganze Zeit vor mich hin reden und so gut das Alter
nachahmen, daß niemand auf falsche Gedanken kommt. Ich hinke sowieso schon.« Germunt krümmte seinen Rücken, tastete sich mit
schlurfenden, kleinen Schritten an Otmar heran und begann zu krächzen: »Als ich noch jung |293| war, da gab es so etwas nicht. Nein, so etwas gab es da nicht. Da hätten die Ältesten gleich gesagt, daß es so etwas bei uns
nicht gibt, und damit wäre es geklärt gewesen. Aber heute, da kann man sich ja ungestraft gehenlassen. Nein, früher hätte
es das nicht gegeben.« Er richtete sich auf. »Gut so?«
Otmar preßte die Lippen sorgenvoll aufeinander, aber Stilla und die Magd lächelten.
Als die Magd den Raum verlassen hatte, um die Lumpen zu holen, rührte Stilla an Germunts Arm: »Darf ich mitkommen?«
»Nein, du wirst mit dem Bischofshof in Verbindung gebracht. Das macht die Sache gefährlicher.«
»Aber ich könnte doch in einiger Entfernung …«
»Das ist nicht gut.« Germunt ließ seine Hosen fallen und nahm aus der Hand der Magd, die in den Raum trat, ein Bündel Lumpen.
Ein alter Rock war darunter, den zog er an.
»Deine behaarten Beine sind noch zu sehen«, bemerkte die Magd und wies auf die Unterkante des Rocks, die zwischen Germunts
Knien und seinen Fußknöcheln hin und her schwang.
Ungerührt wühlte Germunt weiter in dem Lumpenhaufen. »Habt Ihr ein Stück Seil für mich?«
Die Magd verschwand. Als sie mit einer zerfaserten Leine zurückkehrte, nahm Germunt sie schweigend entgegen, hielt sie dem
Jäger hin und hieß ihn sie in drei Teile zerschneiden. Dann wickelte er sich Lumpen um die Füße und führte die dunklen Stoffe
bis zum Knie hinauf. Behende wanden seine Finger je ein Seilstück darum und knoteten es oberhalb des Knies fest. Um die Schultern
band sich Germunt einen Buckel aus Stoffetzen, schließlich legte er sich ein löchriges Tuch über den Kopf und neigte seinen
Oberkörper vor. Das Tuch hing tief in sein Gesicht. Abrupt richtete er sich wieder auf. »Gehen wir.«
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|294| 21. Kapitel
Turin summte wie ein Bienenkorb im Frühling. Genüßlich atmete Biterolf den Blumenduft ein, der über der Straße schwebte. Die
Menschenmenge, durch die er mit den Kriegern in einer langen Kette ritt, bebte, pulste. Wer unter den Turinern ein gutes Kleid
besaß, hatte es angezogen. Junge Mädchen warfen Blumen, Kinder jubelten, Männer klopften den vorbeilaufenden Pferden anerkennend
auf die Flanken und tätschelten mitunter auch das Bein eines Reiters.
Sie lieben ihren Bischof,
dachte Biterolf,
den siegreichen Streiter, der die Sarazenen zurückgeschlagen hat. Er hält ihnen das Bild eines Helden vor Augen und erlaubt
ihnen, hinaufzuschauen, aufgehoben zu werden aus dem hungrigen, schäbigen Leben.
Endlich war das Mißtrauen beseitigt. Keine Zweifel mehr an den Lehren, die Claudius von der Kanzel verkündigt hatte, kein
Gemurmel mehr in den hinteren Reihen. Es würden nun klare Verhältnisse herrschen. Der Bischof würde die führende Kraft in
Turin sein, und niemand würde es wagen, seine Worte in Frage zu stellen.
Die
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