Der Kalligraph Des Bischofs.
Leben in all den Körpern gewesen war, die wie eine Höllenernte das Feld bedeckten.
Die Armmuskeln schmerzten ihm, als habe er mit Sarazenen gefochten. Staubgeruch lag in der Luft, und auf Claudius’ Händen
und Armen mischte sich Kalk mit Schweiß. Claudius ließ das Weihrauchfaß zu Boden poltern. Es zischte leise, irgendwo beim
Altar rieselte Sand aus einem Loch in der Kirchenwand.
Wie ein feines Tuch strich der warme Nachtwind über Germunts Körper, ein Tuch, durch das er hindurchschritt und das ihn umfing,
aber gleichzeitig vor ihm zurückwich. Es streichelte sein Gesicht, seine Arme, die Hände. Germunt fuhr zärtlich mit dem Daumen
über Stillas Handrücken. Sicher spürte sie all das auch. Sie liefen in der Mitte der Straße, und wenn Germunt im Sternenlicht
Unrat in ihrem Weg sah, zog er Stilla sanft zur Seite. Er genoß das, weil ihre Körper sich dann für einen kurzen Moment aneinanderschmiegen
konnten, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatten. Sie fühlte sich so weich an, so warm und schmiegsam!
Die Stirn wölbte sich hoch über ihr Gesicht und glänzte |320| im feinen Licht der Nacht. Hell schimmerten die Augenbrauen in ihrer fast geraden Form. Einige Härchen wuchsen über dem Nasenansatz,
kleine, feine Härchen, die er gern mit den Fingern umfassen und streicheln wollte. Längst machte es ihm keine Angst mehr,
daß sie mit geöffneten Augen lief.
»Es ist eine schöne Nacht«, sagte sie leise.
»Ja.« Germunt zog sie ein wenig näher an sich heran.
»Laufen wir noch eine Runde und kehren dann zurück zum Hof?«
»Gut.« Das hatte sie nicht einfach so gesagt. Ganz sicher nicht.
Sie will mir etwas sagen, aber sie fürchtet sich.
»Stilla, du –«
»Nein, warte. Laß mich kurz nachdenken, ja?«
Für eine Weile gingen sie schweigend. Germunt fragte sich, wie es sich für Stilla anfühlte, daß er humpelte. Da mußte wenigstens
ein beständiges Rucken der Hand sein, eine wiederkehrende Ungleichmäßigkeit in seinen Bewegungen. Daß sie es hörte, dessen
war er sicher, aber er wollte nicht, daß sie es fühlen konnte. Er wagte es nicht, sie danach zu fragen.
»Germunt, du bist jetzt Freier. Auch deine unüberlegte Tat ist längst gesühnt. Der Bischof hat diesen Fall gewonnen gegenüber
dem Grafen, oder nicht?«
Germunt mochte diesen sorgenvollen Unterton in ihrer Stimme nicht, er hatte etwas Drängendes, etwas, was Germunt sich unfrei
fühlen ließ. »Ich denke schon.« Es war mehr ein Brummen als ein Reden. Was war es, das sie ihm sagen wollte?
»Jetzt noch in Turin zu bleiben, bringt dich ohne Nutzen in Gefahr.«
»So? Ich denke, ich bin Freier? Meine Schuld ist gesühnt, oder nicht?«
Sie drückte streng seine Hand. »Germunt! Willst du mich nicht verstehen? Geh nach Venedig, nach Verona, irgendwohin, wo du
wirklich neu anfangen kannst!«
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Darüber hat sie also nachgedacht. Will sie mich loswerden?
»Und du?«
Stilla schwieg. Dann sagte sie leise: »Ich gehe mit dir.«
Germunt atmete geräuschvoll aus. Er blieb stehen, lächelte in die Nacht. Ihm war wie Schreien zumute. »Wirklich, das willst
du tun?«
Zur Antwort spürte Germunt Stillas feine Finger an seinem Hals, die ihn erst kaum merklich streichelten und dann mit stummer
Aufforderung seinen Nacken umfaßten, um ihn zu einem Kuß herabzuziehen. Zärtlich, tastend berührten sich die Lippen, dann
fügten sie sich weich ineinander. Er schloß die Augen.
»Wir gehen nach Venedig«, sagte Germunt, als sie sich voneinander gelöst hatten. Immer noch fühlte er ihre Hand in seinem
Rücken, und so umarmte er sie. Eine seltsame Art von Hunger bäumte sich in ihm auf, Hunger, Stilla wieder und wieder zu umarmen,
gar nicht mehr damit aufzuhören, am besten ohne Kleider am Leib, Hunger nach einer einzigen, großen Umarmung. Er schluckte
und ließ die Arme sinken.
Wie kann ich so etwas denken?
Hatten die wilden Gedanken seine Umarmung grob gemacht? »Ver zeih mir.«
»Was?«
»Ich wollte dich nicht so fest drücken.«
Stilla lächelte.
»Wir gehen nach Venedig. Irgendwie finde ich dort Aufträge für Schreibarbeiten, bestimmt.«
»Du machst mich glücklich! Küßt du mich?«
Germunt umfaßte Stillas Gesicht und drückte seinen Mund auf ihre warmen, weichen Lippen. »Hörst du auch die Stimmen?« Mit
zusammengekniffenen Augen sah er nach dem Tor des Bischofshofes. Er konnte im Sternenlicht nichts ausmachen.
Tatsächlich, da waren laute Stimmen. Germunt zog Stilla mit
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