Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
wurde: ›Aug.‹ für Augustinus, Beda, Isidor. Germunt blätterte weiter. »Da werden auch Bibeltexte zitiert.
     Vielleicht ist es das, was Claudius haben wollte.«
    »Ich danke Euch! Werd’s gleich hinaufschaffen.« Mit dem Buch an seiner Brust verließ Ademar die Schreibstube.
    Eine Schlange mit grünen Augen. Germunt strich sich über das Kinn. Er hatte nie diesen Ring an Ademars Finger bemerkt.

[ Menü ]
    |315| 23. Kapitel
    Claudius erhob sich von den Knien und ging zum Bischofsthron im Kirchenschiff. Müde ließ er sich in den steinernen Sitz fallen
     und glitt mit den Fingern durch die Mähnen der Löwen, die links und rechts in die Armlehnen gemeißelt waren. Der Geruch von
     kaltem Weihrauch legte sich auf sein Gesicht. Er hatte lange gebetet, seine Beine schmerzten. Aber es gab auch Gründe dafür,
     genügend Gründe. Er seufzte.
    Auf dem Hauptaltar brannten vier dicke Kerzen, auf den beiden Seitenaltären je eine kleinere. Ihre Flammen hielten die Schatten
     der Figuren in Bewegung, die die Wände der Kirche säumten.
    Dort, Maria, ihm gegenüber. Zärtlich hielt sie ihren Säugling in den Armen, verbarg ihn in den weiten Falten ihrer Tunika.
     Aber sie sah den Säugling nicht an, blickte vielmehr auf einen toten, leeren Punkt auf dem Kirchenboden. Neben ihr an der
     Wand Johannes. Wie ein Wächter stand er dort in ihrem Rücken, die Unterlippe geschürzt, den Oberlippenbart müde herabfallend
     in den Kinnbart hinein. Der goldene Lichtkranz um seinen Kopf glitzerte.
    Claudius war es, als wandelte sich das Gesicht des Apostels in ein längliches, blasses. Die Lippen nahmen rosa-violette Farbe
     an und schwangen sich wie ein sarazenischer Bogen, dick, vorwurfsvoll und erhaben zugleich. Die Augen zogen sich zusammen,
     verdüsterten sich. Im Moment, als Claudius den Mundschenk erkannte, hatte das Gegenüber plötzlich auch dessen Kleidung am
     Leib: die scharlachroten Beinkleider, mit roten Binden umwickelt, den Mantel aus grünen Vierecken, unzähligen grünen Vierecken,
     immer |316| grün, wie es die jungen Männer tragen, grün, grün, grün. In einem plötzlichen Schrecken sprang Claudius’ Blick zu Maria, und
     tatsächlich, ihre Züge veränderten sich. Da war die feine Nase, die er geküßt und gestreichelt hatte. Er kannte sie als Schattenriß
     in der Nacht, er kannte sie mit nassen Tränenbahnen und lachend mit kleinen Fältchen zwischen den Augen. Die Augen bekamen
     Leben, feine, gelbe Sterne in den grauen Teichen, und den Blick, der Liebe sprach, nicht zügellose Leidenschaft, sondern die
     Liebe, die
kennt
, die bis ins letzte kennt und deshalb liebt. Sie sah ihn an. Es war nicht Maria, es war Adia, die ihn anlächelte, mit diesem
     geliebten Lächeln, den rechten Mundwinkel weich hinabgezogen, den linken hinauf, ein Lächeln, das die Wangen spannte und ihn
     so lange ernährt hatte.
    Der verhaßte Mundschenk hinter ihr, er durfte sie nicht – »Adia!« Claudius sprang auf. Er atmete schnell, fuhr sich mit der
     Hand über das Gesicht.
Was ist mit mir los?
Da stand die Marienstatue, und hinter ihr wachte Johannes. Langsam drehte sich Claudius und sah durch den Kirchenraum. Die
     weißbärtige Petrusstatue mit dem goldenen Schlüssel in der Hand. Johannes der Täufer, nur in Felle gekleidet, an der Wand
     dahinter. Adam und die Schlange im Baum, Eva, die ihre Hand ausstreckte nach der sündigen Frucht. Vorn am Altar thronte Christus
     inmitten von Engeln, aber er hatte ein spitzes, dünnes Gesicht und viel zu zarte Hände, um wie ein starker König auszusehen.
    »Mein Gott.« Sie könnten eine Venusstatue in die Kirche bringen, die Gläubigen würden auch vor ihr niederknien und sie anflehen,
     im Himmel Fürsprache für sie zu halten. Würde man eine Freske von Farro, Biterolfs Hund, an der Wand anbringen, das Volk würde
     ihn anbeten, würde ihn mit Weihrauch ehren. Eine Aufschrift »der Hund des Petrus« würde genügen, sie zu täuschen.
    Wie mußte Gott diese Kirche hassen, die die Leute für heilig hielten. Sie war gefüllt mit Dingen, die den Menschen den Blick
     für ihn raubten, gefüllt mit Götzen. Nichts |317| anderes waren diese Bilder, auch wenn sie die biblischen Gestalten zeigten. Nichts anderes. Und sie versuchten, selbst ihn,
     den Bischof, zu betrügen, hatten sich für ihn in die Geliebte und seinen Widersacher verwandelt.
    Ich bin verantwortlich, ich bin der geistliche Führer in dieser Stadt und im umliegenden Land. Gott wird mich verantwortlich
     dafür machen,

Weitere Kostenlose Bücher