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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Wiesel, das vom Diebstahl lebte. Nun bin ich frei, und meine
     Schuld wurde vom Bischof gelöst.
Er hob die rechte Hand vor die Augen.
Diese Finger haben gestohlen, was anderen gehörte. Heute können sie schreiben.
    Schreiben. Was bedeutete das? Ein Federkiel nahm Tintentropfen auf, hielt sie in seiner gespaltenen Spitze und trug sie hinüber
     zum Pergament. Dort bewegte sich die Feder in genauen Bögen und Streifen, verbarg Häuser, Städte, Landstriche und Königreiche
     in Buchstaben und Worten. Allein ein einziger Name auf dem Pergament – wie wichtig konnte das sein! Und welche Unsterblichkeit
     erlangte damit sein Träger! Er, Germunt, hatte das Geheimnis gelernt, Menschen und Dinge mit Tinte und Feder unsterblich zu
     machen. Und nicht nur das.
    Schreiben hieß auch, dem Auge Entzücken zu bereiten. Ein Pergament konnte durch farbige Verzierungen, durch ausgeschmückte
     Initialen, durch einen gleichmäßigen, sauberen Textkörper eine Befriedigung in seinem Betrachter auslösen, die nicht durch
     gutes Essen oder warmes Wetter zu erreichen war. Durch Ordnung und kunstfertige Ausführung erlangte ein Schriftstück Schönheit,
     und mit der Schönheit bekam es Würde. Was wäre eine Schenkungsurkunde, die Macht, Reichtum und Bedeutung verlieh, wenn sie
     hastig dahingekritzelt auf einem abgerissenen Fetzen stünde? Sie würde nicht einmal ernst genommen werden; man müßte sie verstecken,
     müßte sich bemühen, ihren Inhalt durchzusetzen, ohne sie ans Tageslicht zu holen. Sie wäre nutzlos.
    |313| Germunt fühlte nach dem harten, getrockneten Blut auf seinem Bauch. Godeoch mußte ihn noch mehr hassen nach dem Kampf gestern
     in der Stadt. Es gab genug Leute, die ihn haßten. Die ihn gern tot sehen würden. Selbst hier am Bischofshof waren nicht alle
     erfreut, daß dem Mörder verziehen war und er Freiheit erlangt hatte.
    Die Tür wurde aufgeschoben. Ein grüner Blick tastete über die Pergamente und traf dann Germunts Gesicht. »Oh, Germunt, Ihr
     seid am Schreiben?«
    »Ja. Was sucht Ihr?«
    Ademar kratzte sich die Schläfe. Ein Ring blinkte an seinem Finger. »Claudius hat mich geschickt. Er möchte seinen langobardischen
     Freunden die Lehren erklären, was Bilder in der Kirche angeht, Reliquien, und den Heiligen Vater in Rom. Nun sollte ich ein
     … ein Schriftstück holen … Könnt Ihr mir helfen?«
    Germunt zog die Stirn in Falten. »Er kennt doch seine eigenen Gedanken. Wozu braucht er eine Niederschrift?«
    »Ich weiß ja auch nicht, vielleicht sind ihm nicht alle Bibeltexte geläufig? Ist Biterolf nicht hier?«
    »Nein, er ist in der Stadt. Die Kommentare von Claudius liegen in der Truhe dort. Hat er gesagt, welchen Kommentar er haben
     möchte?«
    Ademar lief zur Truhe hinüber. »Ich habe es vergessen, er sagte irgend etwas, aber ich weiß nicht mehr –«
    »Dann geht besser noch einmal fragen.«
    Wie ein Peitschenhieb erwiderte Ademar: »Nein!« Dann setzte er noch einmal ruhig an. »Nein. Er ist schon nicht gut auf mich
     zu sprechen, weil ich Ato, Thomas und die anderen eigenmächtig befreit habe, als er fort war.« Ademar stand über die Truhe
     geneigt, als würde er mit ihr sprechen. »Ich wollte ihm ja nur helfen, ich meine, was nützt es dem Bischof, wenn seine Dienstleute
     wütend auf ihn sind? Daß er lange wegbleiben würde, wußte ich, und sie konnten doch nicht die ganze Zeit eingesperrt bleiben.«
    »Ihr wart das …«, murmelte Germunt. War Ademar |314| wirklich so unbedarft?
Entweder er ist völlig harmlos, oder die schlichte Art soll Falschheit verstecken.
Prüfend sah Germunt zu dem schmalschultrigen Mann hinüber, der sich auf den Truhenrand stützte.
    »Bitte, Ihr müßt mir helfen! Hier liegen mehrere Bücher. In welchem schreibt er von den Bildern und den Reliquien? Ich werde
     auch ein gutes Wort für Euch bei den anderen einlegen.«
    Das gute Wort könnt Ihr Euch sparen.
»Bringt mir mal das Buch mit dem hölzernen Deckel.«
    Ademar ächzte laut, als er das Buch aus der Truhe hob. Er drückte es an seine Brust und trug es zu Germunt hinüber. »Da.«
    Vorsichtig öffnete Germunt die Verschlüsse. Er schlug die erste Seite auf und las. »Ja, das sieht gut aus. Hier, in der Einführung.«
     Das war Biterolfs Schrift, eindeutig. Die ganze Seite war mit niedrigen Zeilen bedeckt; etwas unbeholfen war das erste große
     A über drei Zeilen hinweg ausgeformt. An der rechten Seite des Textes fanden sich immer wieder Namen in roter Tinte, wo ein
     Kirchenvater zitiert

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