Der Kalligraph Des Bischofs.
Endes anders, als ich immer dachte.
|116| Auch Claudius sah ihn fragend an. Nach einigen Augenblicken bemerkte Germunt ein leichtes Zucken um die Mundwinkel des Bischofs,
dann strafften sich ganz allmählich seine sonnengegerbten Wangen, und er lächelte. »Gib dir gefälligst Mühe! Lerne nicht behäbig,
sondern eifrig!«
Er konnte nicht sagen, warum, aber nun mußte Germunt ebenfalls lächeln. Es war wie eine unausgesprochene Vereinbarung. Tief
neigte er seinen Kopf, einen ergebenen Knecht mimend. »Natürlich! Ganz, wie Ihr wünscht.«
Der Bischof sah zur Seite. Er schien nachzudenken. »Ich habe einen engen Freund und Schüler, Theodemir«, wandte er sich wieder
Germunt zu. »Du sollst den Briefwechsel mit ihm in die Hand nehmen. Ich will die Freundschaft durch deine Feder führen, sobald
du schreiben kannst. Beeile dich, er wartet auf Antwort.«
»Dann sollte ich – allein um Eurer Freundschaft willen – zügig mit dem Lernen vorankommen.«
Nach diesem Gespräch kehrte Germunt verändert zu Biterolf zurück. Er fing an, Fragen zu stellen, schaute dem schreibenden
Notar stundenlang über die Schulter und murmelte die Worte nach, die aus der Hand des Notars auf das Pergament flossen.
Der erste Buchstabe, den er mit der Feder in der eigenen Hand aufs Pergament gemalt hatte, der erste Satz und der innere Jubel,
als er ihn beendet hatte – all dessen entsann sich Germunt wieder. Es war eine schwere Kunst, das Schreiben, aber war es nicht
auch ein Wunder? Die Urkunden im Schrank und in den Regalen, die über das Leben von Menschen entschieden, über Besitz und
Abgaben, über Namen und Strafen, über Feste und Dienste. Die Schrift war wie eine riesige Scheune, ein Speicher, der den vergeßlichen
Menschen half, ihre Erinnerung stark zu machen. Sie bewahrte Wichtiges vor der Vergänglichkeit, die Schrift schuf Beständigkeit,
gab einen Halt, wie ihn der Sattel auf dem Rücken eines wilden Pferdes bot. Und er, Germunt, |117| stand am Grenzstein dieses neuen Reiches, bereit, es zu durchwandern und seine Künste so gut zu erlernen, daß er die Feder
wie die Zügel hielt und sicher führte.
Es dauerte nicht lang, bis Biterolf ihn zur Rede stellte. »Germunt, was hat Euch gepackt, daß Ihr plötzlich Interesse für
das Schreiben gefunden habt?«
»Vielleicht sehe ich das Ziel näher rücken.«
Biterolf konnte nicht ahnen, daß Germunt damit nicht den Bischofshof, sondern den Abschied von ihm meinte. So ging er glücklich
auf die neue Begeisterung Germunts ein und schob noch mehr als sonst die Schreibarbeiten beiseite, um mit seinem Schüler zu
üben.
Nicht wenig Schwierigkeiten bereitete ihnen Germunts schwaches Latein. Germunt bemühte sich um gute Worte und eine korrekte
Grammatik, aber es fiel ihm schwer, sich so auszudrücken, wie der Notar es verlangte.
Während Biterolf an der Reinschrift des Epheserkommentars arbeitete, sollte der junge Mann ein wenig im ersten Mosebuch lesen,
um sein Latein zu üben. Schon im dritten Vers blieb Germunt stecken:
» Fiat lux! Et facta est lux.
– Aber warum heißt es
fiat
, zum Kuckuck, wenn das Grundwort
facere
ist? Wozu lerne ich die Beugungen, wenn es doch nur Ausnahmen gibt?«
Biterolf bemerkte trocken vom Schreibpult: »Das Verbum ist nicht
facere
, sondern
fieri
.«
»Was soll das sein, ›fieri‹? Das klingt gar nicht wie ein Verb.«
»Es ist ein besonderes Verb. Du mußt es eben lernen.«
So erging es ihm ein ums andere Mal.
»Ich verstehe das nicht. Ständig soll ich
praedictus
schreiben. Die vorgenannten Dienste, die vorgenannten Tage, die vorgenannten Güter, und oft ist da gar nichts vorgenannt!
Wozu ist dieses
praedictus
überhaupt da?«
»Es ist eine Formel. Frage nicht, so wird das eben gesagt.«
Manchmal hätte Germunt am liebsten das Pergament zerrissen oder die Gänsefeder zerbrochen, die er in der |118| Hand hielt. Er stierte dann, die Fäuste geballt, auf einen entfernten Gegenstand und wanderte in Gedanken durch sonnenüberflutete
Weinberge, bis er sich wieder gesammelt hatte und weitermachen konnte.
Es war unfaßbar für ihn, wie Biterolf es schaffen konnte, während des fließenden Schreibens die Worte so anzuordnen, daß sie
die ganze Zeile füllten und am Ende gleichmäßig am Rand abschlossen, wie die Zeilen darüber und darunter. »Aller Platz muß
ausgenutzt werden«, pflegte Biterolf häufig zu sagen. »Pergament ist teuer.«
Die Hand durfte beim Schreiben nicht über das Pult fahren,
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