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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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trat einen Schritt zur Seite, um Germunt sehen zu können. Ihre Blicke trafen sich.
    Germunt wußte genau, woran der Bischof dachte. Die Enttäuschung darüber, daß er das stille Abkommen gebrochen hatte, trieb
     dem Dieb Wasser in die Augen.
    »Es sei.« Leise fügte Claudius hinzu: »Kanzler, schafft heran, was Odo braucht, um sein Bein zu versorgen.«
     
    Als Biterolf und Germunt allein im Saal waren, redete der Notar wild auf ihn ein: »Ich habe den Verbannungsort natürlich |142| nicht beliebig ausgewählt. Wißt Ihr, in Tours könnt Ihr vortrefflich Eure Fähigkeiten ausbauen, was das Schreiben und vor
     allem Euer künstlerisches Talent angeht. Abt Alkuin, er ruhe in Frieden, hat das Kloster in Tours zu einem Zentrum der Schriftkunst
     ausgebaut. Nirgends sonst könnt Ihr so viel lernen und vor allem die neuesten Kniffe erfahren. Ihr müßt mir unbedingt berichten,
     wenn Ihr zurückkehrt. Dann werde ich in manchen Dingen Euer Schüler sein!«
    Claudius hat mir das Leben geschenkt.
Germunt nahm einen tiefen Atemzug.
Er bringt sich selbst in Schwierigkeiten, um mir zu helfen. Warum tut er das?
Ihm kam ein äußerst beunruhigender Gedanke. »Tours liegt auf der anderen Seite der Alpen, nicht wahr?«
    »Das ist ein weiterer Vorteil. Ihr könnt Eure Vergangenheit weit hinter Euch lassen, förmlich ein neues Leben beginnen.«
    Neues Leben.
Germunt lächelte bitter. »Wie lange werde ich in Tours bleiben müssen?«
    »Nun, ein paar Tage reichen nicht aus. Den Winter werdet Ihr im mindesten dort verbringen, damit es nach einer Verbannung
     aussieht. Germunt, ich bin so froh, daß ich die Körperstrafe von Euch abwenden konnte!«
    Germunt hob ein wenig den Kopf und blickte an seiner zerschrammten Brust hinunter. Die Hose war zerfetzt, und über dem rechten
     Knie war alles mit dunklem Blut verklebt.
    »Jetzt laßt erst einmal Euer Bein verheilen. Es scheint ja noch gerade zu sein.«
     
    Etwas später betrat Odo den Saal. Er trug Hölzer und Leinentücher unter dem Arm. Hinter ihm war die Stimme des Bischofs zu
     hören. »Was Ihr auch tut, tut es schnell. Er bricht noch heute auf.«
    Odo kehrte sich um. »Mit dem Bein, Ehrwürden? Das Knie ist völlig zertrümmert, er kann nicht laufen, geschweige denn reiten!«
    |143| »Das wird er nie wieder können. Ich bin Kriegsmann genug, das zu wissen. Er bricht heute auf.«
    »Verzeiht mir, Ehrwürden, aber wenn Ihr ihn mit der offenen Wunde über die Berge –«
    »Er schafft es, oder er schafft es nicht.« Es lag eine tiefe Wut in der Stimme des Bischofs. Niemand wagte es, weitere Einwände
     vorzubringen.
    Während sich Odo am Bein zu schaffen machte, fragte sich Germunt, ob er diesen Winter überleben würde. Keine Ohnmacht befreite
     ihn von Odos schmerzbringenden Händen. Er hatte das Gefühl zu ersaufen.
     
    Der Weg zum Stall kostete ihn alle Kraft, die ihm geblieben war. In den hintersten Winkel zog er sich zurück, ließ sich zwischen
     den dampfenden, warmen Pferden auf das Stroh sinken und zog das gesunde Knie an seinen Körper heran. Das rechte Bein lag steif
     ausgestreckt.
    Er saß lange so. In seinem Kopf rauschte es, blies und stürmte, säuselte und pfiff. Irgendwann schloß er die Augen, und dann
     sah er sich als frechen, spindeldürren Knaben. Ein frischer Wind wehte über Hügel, streichelte das Grün der Pflanzen und wiegte
     sie vor dem unendlichen, blauen Himmel. Er stand am Hang und naschte Trauben von den Weinstöcken. Mit der Zunge ließ er sie
     am Gaumen zerplatzen, schluckte genüßlich ihren Saft. Der alte Weinbauer lächelte nur.
    Und da war diese Stimme, die ruhig zu ihm redete. »Ich wußte, daß ich Euch hier finden würde.«
    Germunt öffnete die Augen. Er wollte sich aufrichten, aber der Bischof setzte sich neben ihm auf das Stroh.
    »In Kantabrien bin ich auch oft in den Stall gegangen, habe mich in der Haferkammer verkrochen oder in der Geschirrkammer
     mit den Trensen gespielt. Ich hätte es niemandem eingestanden, aber ich hatte Angst um meinen Vater, wenn er sich den Krummsäbeln
     entgegenwarf.«
    »Herr, möchtet Ihr, daß ich mich dem Urteil der Stadt |144| stelle?«
Gerechtigkeit wäre so sauber, so klar. Es wäre mein Tod und meine Rettung.
    »Nein. Ich möchte, daß Ihr nach Tours reist. Daß Ihr dort im Kloster Neues lernt, Euer Wissen erweitert. Und, daß Ihr wieder
     zurückkehrt.« Er sah Germunt von der Seite an.
    Germunt nickte leicht.
Mit diesem Bein.
    »Mit diesem Bein, ja. Wenn Ihr es überlebt, wißt Ihr, daß Ihr

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