Der Kalligraph Des Bischofs.
hinein, sah Germunt über
die Schulter, so als würde er eine sachliche Urkunde schreiben lassen, die ihn nicht berührte.
Die Sätze aber, die er Germunt schreiben ließ, waren alles andere als kalt. Mal trugen sie die Wärme eines väterlichen Rates,
mal das Feuer einer tiefen Freundschaft. Mitunter diktierte Claudius Bemerkungen zu Ereignissen in der Vergangenheit, die
Germunt nicht verstand, oder ein Argument zu einem Gespräch, dessen Hintergründe Germunt fehlten.
Als der Brief beendet war, nahm der Bischof das Pergament in die Hände und las. »Ja, das ist gut. Du wirst dich freuen, mein
guter Theodemir.« Er zog ein Messer aus seinem Gürtel und ritzte das Pergament kreuzförmig ein, |147| dort, wo der Text endete. »Habt Ihr Siegelwachs für mich, Germunt?«
Germunt hinkte mühsam zum Schrank.
Über dem kleinen Talglicht erwärmte Claudius die Siegelmasse, dann teilte er sie in zwei Hälften. Den einen Teil drückte er
in die geritzte Stelle unter dem Brief an Theodemir, den anderen mitten auf das kleingefaltete Empfehlungsschreiben. Dann
preßte er seine Faust mit dem Siegelring auf beide.
»Theodemir wird Euch gefallen. Er ist noch sehr jung, jedenfalls, wenn man bedenkt, daß er bereits Abt eines wichtigen Benediktinerklosters
ist. Wenn Ihr sagt, wer Euch schickt, wird er Euch herzlich aufnehmen. Bleibt ruhig ein paar Tage in Psalmody. Tut mir einen
Gefallen, fragt Theodemir, was er von meinem Kommentar zum ersten Korintherbrief hält. Er hat das Buch schon eine Weile, und
ich warte sehnsuchtsvoll auf Antwort von ihm. Sagt ihm, wenn noch Fragen offengeblieben sind, soll er sie mir schleunigst
stellen.«
»Mache ich.«
Er behandelt mich, als wäre nichts geschehen. Und er tut, als würde er mich belohnen, während er mich geradewegs in den Tod
schickt.
Claudius zog einen Lederbeutel aus seinem Gürtel. »Diese Münzen werdet Ihr brauchen. Ihr werdet Brückenzoll bezahlen oder
unterwegs etwas Käse und Brot kaufen müssen.«
Nachdem Germunt den Beutel entgegengenommen hatte, nahm ihn Claudius bei den Schultern und sah ihm in die Augen. »Haltet Euch
nicht mehr lange auf, Germunt. Wenn Godeoch morgen früh erfährt, daß Ihr fort seid, wird er Euch nachsetzen. Je weiter Ihr
es heute nacht noch schafft, desto besser.«
»Wie soll ich mit einem steifen, verwundeten Bein –«
»Ich sage nicht, lebt wohl, weil ich guter Hoffnung bin, daß wir uns wiedersehen.« Damit drehte sich der Bischof um und verließ
die Schreibstube.
|148| Germunt lehnte sich von innen an den Türpfosten.
Ich wollte Weinbauer werden? Ein Krüppel bin ich statt dessen!
Sein Leben kam ihm plötzlich wie ein Plan vor; der Plan, einen Menschen Schritt für Schritt zugrunde zu richten.
Warum glaubt Claudius an mich? Er schickt mich mit dieser höllischen Wunde über die Alpen und geht einfach davon aus, daß
ich es überlebe. Was, wenn er nicht wegen mir ein schlechtes Gewissen hat, sondern wegen meiner Mutter?
Wahrscheinlich war es beides zugleich.
Bevor auch Germunt aus der Schreibstube ging, füllte er Biterolf noch einmal das Tintenfäßchen auf. Der Notar würde lächeln,
wenn er es am nächsten Morgen bemerkte. Dann trat er, trotz aller Schmerzen, im schwindenden Tageslicht einen Rundgang durch
die Gebäude des Bischofshofes an, um sich ihren Anblick einzuprägen. Womöglich sah er sie zum letzten Mal, und er wollte die
Erinnerung kräftig machen, auch wenn das Bein mit jedem Schritt tauber wurde. Daß man ihn überall anstarrte, war ihm egal.
Überhaupt waren ihm Menschen plötzlich auf seltsame Weise gleichgültig.
Er humpelte durch den Schlafsaal, besuchte die Gästekammer, in der er etliche Tage verwundet gelegen hatte. Den kleinen Zaun
am Kräutergarten wollte er zuerst meiden, aber dann zwang er sich, dort einen Atemzug der würzigen Luft zu nehmen. Ein nasser
Hauch legte sich ihm auf die Augen.
Als Germunt in der Küche ein Stück Lendenfleisch liegen sah, ergriff er ein Messer, um für Farro einen letzten Leckerbissen
abzuschneiden. Plötzlich hatte er das Gefühl, als würde eine Faust sein Handgelenk packen. Still legte er das Messer an seinen
Ort zurück.
Ich sollte zuerst fragen.
Erlwin, der den Küchenmeister vertrat, gab lachend seine Erlaubnis. »Aber sagt ihm, daß er sich nicht daran gewöhnen soll!«
Dann sprach er leise. »Kommt nachher noch einmal vorbei. Claudius hat mir befohlen, Euch Proviant für drei Tage zu packen.«
|149| Sicher roch der
Weitere Kostenlose Bücher