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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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wunderte sich über sich selbst: Ruhig richtete er
     sich auf und spähte in das Dunkel, dorthin, wo das Gesicht verschwunden war. Bald konnte er Umrisse eines |194| ausgemergelten Körpers ausmachen und auch das Gesicht wiedererkennen. »Wie heißt Ihr?« War da ein Zug von Erstaunen auf den
     runzligen Wangen?
    »Ich bin Aelfnoth.«
    »Wollt Ihr nicht ein wenig Licht machen?«
    Jetzt lächelte das gelbe Gesicht. »Natürlich.« Der dürre Körper erhob sich.
    Als das Glühen eines Talglichts den Raum erfüllte, nahm Aelfnoth wieder Platz. Germunt betrachtete die kränklich gelbe Haut
     seines Gegenübers, die zerbrechlichen Hände und Fußknöchel, die aus einer Mönchskutte ragten, den beinahe kahlen, flaumbewachsenen
     Schädel. Aelfnoth schien geduldig zu warten. Dann kehrte Germunts Blick zu den Augen des Mönches zurück. »Ihr seid sehr alt.«
    »Und krank.«
    »Leidet Ihr Schmerzen?«
    »Sie sind leicht zu ertragen. Ein Nichts gegen die Schuldenlast, die Ihr mit Euch herumtragt. Gott hat Euch vergeben, glaubt
     mir.«
    Entsetzt starrte Germunt sein Gegenüber an. »Seid Ihr ein Prophet?«
    »Nein. Ich habe nur im selben Raum geschlafen wie Ihr.«
    Germunt spürte, wie sich die Haare an seinem ganzen Körper aufrichteten. »Woher wißt Ihr das … mit Gott?«
    »Ich habe mein Leben lang die Bücher der Heiligen Schrift gelesen. Da bekommt man einen gewissen Eindruck. Warum seid Ihr
     in Tours?«
    »Ich soll meine Taten überdenken. Und mich in der Schriftkunst ausbilden lassen.«
    »Dann habt Ihr zwei Möglichkeiten. Entweder Ihr lernt von mir, oder Ihr verlaßt auf der Stelle meinen Raum und berichtet niemandem,
     daß Ihr mit mir gesprochen habt. In diesem Fall könnte Euch vielleicht noch ein guter Lehrmeister zugewiesen werden.«
    Sollte er aufstehen und gehen? Warum durfte niemand |195| wissen, daß er mit dem Alten gesprochen hatte? »Be kommt man Eure Krankheit, wenn man mit Euch spricht?«
    »Die Menschen scheinen das zu glauben. Und sie haben recht – in gewissem Sinne.« Der Mönch zeigte spitzbübisch seine Zahnlücken.
    »Wie meint Ihr das?«
    »Ich bin nicht nur einmal exkommuniziert worden. Man verbietet einem alten Mann, der vor Schwäche seinen Raum sowieso kaum
     mehr verlassen kann, mit den anderen Mönchen an einem Tisch zu essen. Oder die Kapelle zu betreten.«
    Germunt zog die Augenbrauen zusammen.
    »Ich habe nicht ganz nach ihrem Mund geredet. Als ich schon nicht mehr richtig laufen konnte, hat man hier eine Reform durchgeführt,
     das Kloster ›kanonisiert‹, sozusagen. Ich meine, daß sie die Tiefe am falschen Ende suchen. Irgendwann werden sie das selbst
     feststellen.«
    Es läutete eine Glocke.
    »Seht Ihr? Alle drei Stunden.« Der alte Mönch schloß seine Augen und begann, laut zu beten. Er bat Gott um Gnade für die Mönche,
     für den Abt, für andere Äbte, für die Stifter und Gönner des Klosters. Dann, plötzlich, waren seine Augen wieder offen. »Das
     genügt. Die geforderten hundert Psalmen am Tag werde ich nicht aufsagen. Habt Ihr Euch entschieden? Ich rate Euch, geht.«
    Eine Weile schwiegen beide und sahen sich in die Augen. Etwas hielt ihn, ließ ihn nicht aus dem Blick des Mönchs.
Warum will er, daß ich gehe?
Leise fragte Germunt: »Habt Ihr einmal etwas von einem gewissen Alkuin gehört, der hier in der Nähe gelebt haben soll?«
    »Alkuin war mein Lehrer. Ohne ihn wäre ich ein Esel mit dem Verstand einer Pferdebremse. Er war Abt hier, ein alter Mann,
     als ich jung war. Vor vielen Jahren ist er gestorben.«
    »Gibt es hier noch jemanden, der von Alkuin unterrichtet wurde? Jemanden, der das Wissen an mich weitergeben könnte?«
    |196| »Lange tot, sie sind lange tot, die ihn noch so erlebt haben wie ich. Bald bin ich es auch. Aber das ist der gottgegebene
     Lauf der Dinge.«
    Er ist der letzte Schüler Alkuins. Wenn ich doch bei ihm bleibe? Aber er ist kaum mehr als ein Knochengerüst – wie sollte
     er mein Lehrmeister sein? Da ist etwas an diesem Mann … Diese Ruhe. Er hat das Leben ja schon hinter sich, sozusagen, und
     wenn er zurückblickt, wird er ruhig. Ich wünschte, so würde es mir eines Tages gehen. Soll ich bleiben? Alkuin … Biterolf
     hat von ihm gesprochen.
»Meint Ihr, Ihr könnt aus mir eine Waldbiene machen?«
    Der Alte zog die Mundwinkel hoch. »Ich denke schon. Mehr als das. Wie ist Euer Name?«
    »Germunt.«
Also ist es entschieden.
»Was werden die anderen Mönche sagen, wenn sie mich hier bei Euch finden?«
    »Sie werden Euch wie

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