Der Kalligraph Des Bischofs.
Versammlungsort der Römer. Sie konnten alle darin sitzen, zehn mal zweitausend Menschen.
Die Ruinen hat man dann teilweise für die Stadtmauer verwendet, und weil der Versammlungsort rund war, ist auch die Mauer
rund. Im übrigen lebt auch der Bischof in einem Palast der Römer, den sie damals an der Loire errichteten.«
»Also stimmt es, was der Blinde erzählt hat. Hier haben die Römer gelebt? So weit im Norden?«
»Nicht nur sie. Auch die Westgoten haben Tours eine Zeitlang beherrscht.«
Der Alte fuhr fort, aber Germunt hörte ihm schon nicht mehr zu. Er versuchte, ein Gesicht zu erschaffen. Die Vorlagen auf
Aelfnoths Pergament waren gut, aber es gelang Germunt nicht, die Augen nachzuahmen. Sie gerieten ihm viel zu groß für den
Gesichtsumfang, den er gezeichnet hatte.
»Ihr müßt mit den Augen beginnen«, hörte er die Stimme des alten Mönches hinter sich. »Zeichnet zuerst die Augen und dann
den Kopf. So werden sie immer hineinpassen. Und eigentlich bringt man bei so schwierigen Bildern eine Vorlage mit Kohle auf
das Pergament, die dann nur noch nachgezeichnet und gefärbt werden muß. Aber macht nur weiter, für die Übung mag es ohne gehen.«
Irgendwann brachte ein mürrischer Mönch Brot und einen Krug Ziegenmilch. Aelfnoth warf ihm einige Worte in den Rücken, als
er den Raum wieder verlassen wollte. |202| »Bitte bringt ab heute zwei Portionen. Ich habe einen Schüler hier.«
Der Angesprochene blieb in der Tür stehen. »Muß darüber nicht der Abt entscheiden?«
»Seit wann das? Wir sind zu Gastfreundlichkeit verpflichtet!«
Germunt hatte sich unterdessen nach seinem Leinensack gebückt und zog ein Pergamentstück heraus. »Ich bin auf Empfehlung des
Bischofs von Turin hierher gereist«, sagte er zu dem Mönch. »Möchtet Ihr Eurem Abt dieses Schreiben vorlegen?«
Zögerlich schaute der junge Geistliche auf das Pergament. »Nein. Es geht in Ordnung.« Dann verschwand er mit einer Eile, daß
es den Anschein hatte, der Ort würde ihn gruseln.
»Ein so langes Gespräch hatte ich seit Jahren nicht mehr mit ihm.« Aelfnoth stand auf, um die Tür zu schließen.
Noch viermal läutete die Glocke und hielt Aelfnoth zum Gebet an, dann wollte der alte Mönch den Tag beenden. »Ihr könnt morgen
weitermachen. Euer Federstrich ist fein, und Eure Finger sind begabt. Aber Ihr müßt noch lernen, die kleinen und großen Dinge
zu beachten, die eine Verzierung ausmachen. Morgen.«
Nur widerwillig ergab sich Germunt. Der Wunsch, Leben auf das Pergament zu bringen, ließ ihm keine Ruhe. Es dauerte nicht
lange, da war der Alte eingeschlafen, und Germunt stand leise auf. Er holte sich das Pergament, die Feder und ein Fäßchen
Tinte. Dann legte er sich wieder auf den Boden, so daß das Pergament in einem Mondflecken zu liegen kam.
Er zwang sich, auch offensichtlich mißratene Zeichnungen zu Ende zu bringen.
An jedem Federstrich lerne ich etwas,
sagte er sich.
Wenn ich Zeichnungen abbreche, nutze ich den Raum des Pergamentes nicht gut aus.
Sofort mußte er an Biterolf denken und lächelte.
Ich habe es überlebt. Wenn es
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mir gelingt, diese Kunst zu lernen – Biterolf wird es nicht fassen können!
Als er sich irgendwann umwandte, erschrak er bis ins Mark. Die Augen des alten Mönches waren geöffnet. »Be obachtet Ihr mich?« flüsterte Germunt.
»Ihr habt viel Ehrgeiz.«
»Wart Ihr nicht auch so, als Ihr jung wart?«
»Nein.« Der Alte lächelte. »Ich war dumm und faul.«
»Und Alkuin hat Euch aufgerüttelt?«
»Ich habe ihn bewundert, das war alles. Aber ich war auch danach nicht wie Ihr.«
Sie schwiegen. Germunt hatte sich längst wieder dem Zeichnen zugewandt, als Aelfnoth noch einmal flüsterte: »So weit, wie
Ihr heute gekommen seid, ist wohl noch niemand an einem Tag gekommen. Ich habe Jahre gebraucht, diese Kunst zu erlernen. Euch
scheint sie schon im Blut zu liegen.«
Das sollte für die nächsten Wochen das letzte Lob gewesen sein. Aelfnoth fauchte seinen Schüler ohne Unterbrechung an. Einmal
tunkte Germunt versehentlich die Feder für grüne Tinte in das rote Fäßchen, ein anderes Mal waren Aelfnoth Germunts Linien
zu dick. Häufig wetterte der alte Mönch, daß aus Germunt nie etwas werden würde. Germunt antwortete mit einem Lächeln, weil
er sich an das nächtliche Lob erinnerte.
Auch die Tatsachen redeten eine andere Sprache. Germunt verzierte die großen Buchstaben bald mit solcher Kunstfertigkeit,
daß sie kaum noch von
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