Der Kalligraph Des Bischofs.
seinen Blick zu dem anderen, dunkel gelockten Mönch. »Ich habe mit diesem verfluchten Bein Gebirge überquert,
Flüsse, die ich nicht mehr zählen kann, habe Hunger gelitten und mich in Wäldern verlaufen. Ich bin länger gewandert, als
Ihr es Euch vorstellen könnt. Das alles, weil ich in Tours im Auftrag des Bischofs von Turin das |199| Schreibhandwerk erlernen muß. Es ist ein Unding, daß das an der Tinte scheitert!« Er begann, sich im stillen über seinen eigenen
Zorn zu wundern. Was war da in ihn gefahren?
Der Rothaarige fauchte ärgerlich: »Wißt Ihr, daß wir Euch für diesen Diebstahl einsperren lassen können? Ihr verdient es,
windelweich geprügelt zu werden!«
»Wenn jeder seinen gerechten Lohn erhalten würde, würdet auch Ihr nicht mehr hier stehen, glaubt mir.«
»Das sagt Ihr einem Diener des Herrn?« Der Rothaarige schrie schon fast.
»Wenn Ihr es möchtet, mache ich mich noch heute auf den Heimweg und berichte meinem Herrn, der der Freund des Kaisers ist,
daß man mir in Tours die Tinte verweigert hat!«
Es herrschte eisiges Schweigen.
»Nehmt sie, in Gottes Namen«, stieß der Rothaarige schließlich zwischen den Zähnen hervor. »Ihr werdet feststellen, daß der
Alte Euch nicht mehr als Fingerzittern und zahnloses Nuscheln beibringen kann. Ihr werdet bei ihm nichts lernen, nichts. Aber
denkt ja nicht, daß Ihr hier einen einzigen anderen Lehrer finden werdet, der sich Eurer annimmt. Dafür sorge ich!«
»Fein.«
Einen Moment lang warfen sich die drei Männer noch finstere Blicke zu, dann drehte sich Germunt um und verließ das Haus. Draußen
hielt er an, um sich zu beruhigen.
Ich habe die Pergamente,
murmelte er in Gedanken.
Sie haben etwas, über das sie sich die nächsten drei Tage unterhalten können.
Er dachte nach, ob er einen Fehler gemacht hatte. Würde man ihm Nahrung geben? Dafür würde Aelfnoth sorgen müssen. Einen anderen
Lehrer würde er nicht brauchen, hoffentlich. Es sei denn, der Alte hatte gelogen, als er von Alkuin sprach.
Aelfnoth wiegte den Kopf, als Germunt wieder in sein Zimmer trat. »Ihr habt es nicht übers Herz gebracht, die Dinge zurückzubringen?«
|200| »Doch, das habe ich. Der Rothaarige hat mir gestattet, sie zu behalten.«
»Das ist unmöglich!«
»Es ist so.« Germunt grinste. »Es war nicht leicht, ihn zu überzeugen, aber letzten Endes wollte er nicht vor dem Kaiser als
geizig gelten.«
Nun lächelte auch der alte Mönch. »Ihr seid wortgewandt, junger Mann, Ihr seid wortgewandt. Wollen wir sehen, ob Eure Finger
so fähig sind wie Euer Mundwerk.« Mühsam erhob er sich. »Meine Hände halten keine Feder mehr, aber ich möchte Euch zeigen,
was ich in jüngeren Jahren gezeichnet habe.«
Die gelben Hände griffen in einen Schrank und trugen einige dicke Rollen zum Tisch. Mit der Langsamkeit des Alters zogen sie
das Band von einer der Rollen und öffneten sie.
Germunt schluckte. Vor seinen Augen flackerte das warme Talglicht und belebte die Pergamentseite. Zwischen riesigen Buchstaben
bewegten sich Menschen, rankten Sträucher, blühten zauberhafte Gewächse. Germunts Blick wurde von einer sanften, unnachgiebigen
Gewalt in die Bilder hineingezogen. Er schaute dem lesenden Mönch über die Schulter, der sich an das große ehrerbietige P
gelehnt hatte. Er wich der Lanze des Reiters aus, der unter dem standhaften W hindurchpreschte. Er roch an den Blüten, die
ein schlankes I umspielten. Alles strahlte in lebendigen Farben, war bis in den kleinsten Winkel genau gezeichnet.
»Wie habt Ihr das gemacht?« hauchte Germunt.
Aelfnoth zeigte nacheinander auf die Tintenfäßchen. »Damit, damit und damit.« Dann reichte er Germunt eine Gänsefeder und
ein kleines Messer. »Hier, spitzt Euch die Feder an. Beginnt mit einfachen Linien. Fühlt, in welcher Richtung die Feder sich
sträubt und in welche Richtung sie angenehm gleitet. Verändert den Druck Eurer Hand und schaut, ob mehr Tinte fließt.«
Germunt nahm die Feder zwischen seine Finger. Er |201| wußte, er würde sie nicht wieder loslassen, bis er nicht ebenfalls Leben auf das Pergament bringen konnte, und wenn es eine
verunglückte Krähe war.
Der Greis schaute ihm über die Schulter, und manchmal hatte Germunt das Gefühl, er lächelte.
Ein besonders gelungener Bogen erinnerte Germunt an die Stadtmauer von Tours. »Warum hat Tours eigentlich eine derartige Beule
in seiner Stadtmauer, wenn man von Süden kommt?«
»Dort stand, lange vor unserer Zeit, ein
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