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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Teil der Kirche zu betreten.
     Er kniete sich neben den Mönch, um ihm die Augen zu schließen. Erschrocken hielt er inne.
    Aelfnoth lebte. Und in seinen Augen strahlte mehr Glanz, als er in den letzten Tagen und Wochen darin gesehen hatte.
    »Herr«, flüsterte der Alte mit Inbrunst, »ich danke dir für diesen jungen Mann. Ich danke dir für diesen Tod.« Er drehte sich
     zu Germunt, wie mit neuer Kraft. »Was ist die Schuld, die dich belastet?«
    Sehr leise sprach Germunt: »Ich bin ein Mörder und ein Dieb.«
    |209| Da war kein Entsetzen in den Augen des alten Mönches. Er richtete seinen Blick nach oben. Sein rechter Arm fühlte sich voran,
     bis er den Altar berührte, die linke Hand griff nach Germunts Hand. »Mächtiger Gott!« Aelfnoths rauhe Stimme erfüllte den
     Kirchenraum. »Dies soll mein letztes Gebet sein. Rette den besten Freund meines Lebens. Lösche seine Schuld. Mache du sein
     Leben –«, er holte tief und rasselnd Luft, »zu einem Grundstein.«
    Germunt spürte einen leichten Druck an seiner Hand. Dann sah er, daß Aelfnoths Augen brachen. Sein Gesicht war reglos, als
     lausche er zuversichtlich auf eine Antwort.

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    |210| 16. Kapitel
    Sie schob die nackten Füße ein wenig näher zum Feuer. Es war so wunderbar warm hier! Odo hatte dafür gesorgt, daß sie einen
     der kostbaren Plätze am Kamin bekam. Nach dem Geflüster und Geraschel zu urteilen, füllten etliche Menschen den Raum. Es mußte
     eine Art Saal sein, und das Knistern in der Luft gab Zeugnis davon, daß es für das Gesinde etwas Besonderes war, an diesem
     Ort sein zu dürfen.
    Wenn der Spielmann vom Sommer sang, machte es ihr noch mehr bewußt, daß sie mitten im kalten Winter steckte. Stilla seufzte.
     Hatte Frodwald nicht vergangene Woche noch auf dem Hof Laub zusammengekehrt?
Nun gut, vielleicht vor drei Wochen.
    Die Stimme des Bischofs klang durch den Saal: »Ganz vortrefflich!«
Er darf nicht laut sprechen,
empörte sich Stilla heimlich. Sie war Odo zur Hand gegangen heute morgen. Der Verband mußte immer noch täglich gewechselt
     werden. Und jedesmal, wenn sie den Verletzten pflegten, kämpfte sie mit Mühe dagegen an, sich … Nein, sie wollte nicht an
     ihn denken. Vielleicht kehrte er nie wieder. Es war gut, und Schluß.
Nicht an ihn denken. Nicht an ihn denken.
    »Darf ich Euch ein Geheimnis verraten, Ehrwürden?«
    Dieser Spielmann hatte eine unglaublich weiche Stimme. Ob er Öl trank, um sie zu schmieren?
    »Nur zu.«
    »Wißt Ihr, in meinem Beruf teile ich die Herrscher in zwei Ordnungen ein. Die einen sind jene, die die Spielleute mitten im
     Liede unterbrechen, um zu reden. Die anderen, zu denen Ihr gehört, warten geduldig auf das Ende. Ihr seid mir der liebere
     Menschenschlag.«
    |211| »Wer würde dich unterbrechen? Du hebst die spannendste Strophe bis zuletzt auf. So hältst du uns im Bann deines Liedes.«
    Ein Gelächter ging durch den Raum.
    »Ich erzähle alles so, wie es sich zugetragen hat. Bei meiner Ehre! Nur manchmal muß ich eine Kleinigkeit offenlassen, weil
     ich sie selbst nicht verstehe. Nehmen wir zum Beispiel das: Halten die Planeten an und kehren um, damit sie wieder auf ihre
     tägliche Bahn kommen? Wie geraten sie von der einen Seite der Erdscheibe auf die andere?«
    Es wurde still. Nur das Feuer hörte man knacken. Endlich kam die erlösende Stimme des Bischofs: »Eine gute Frage. Ich will
     dir ebenfalls eine stellen: Welche Sprache wurde vor dem Bau des Turms zu Babel von allen Menschen gesprochen? Latein? Fränkisch?
     Romanisch?«
    In Stillas Nähe flüsterte jemand: »Wenn das hier vorbei ist, haue ich dich zusammen.«
    »Warum?« zitterte eine Stimme zurück.
    Plötzlich schlug der Spielmann die Saiten seiner Laute an. »Ihr wollt es mich fragen / Und ich kann’s nicht sagen / Ein Teil
     sei gelungen: / Sie haben gesungen.«
    Man lachte. Irgendwoher kam der Ruf, der Spielmann möge noch ein Lied zum besten geben.
    »Das kann ich gern tun. Danach muß ich Euch allerdings verlassen, weil es schon dunkelt und ich noch keine Bleibe habe. Ein
     Spielmann kann wohl kaum am Bischofshof übernachten.«
    »Das ist richtig.« Die Stimme des Bischofs war seit langer Zeit nicht mehr so frei von Anspannung gewesen.
Der Gesang hat ihm gutgetan,
dachte Stilla. In den ersten Tagen der flache Atem, die kalte, wächserne Haut – es hatte wirklich den Eindruck gemacht, er
     würde sterben. Jeden Tag war ein Bote des Grafen gekommen, um sich nach dem Gesundheitszustand des Bischofs zu

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