Der Kalligraph Des Bischofs.
sprangen, und Stilla
hörte den Spielmann Dank rufen. »Ihr versteht, daß ich nicht bleiben kann. Wenn ihr mich noch einmal hören wollt, dann vergeßt
nie, vor der Mahlzeit zu danken. Und seid eurem Herrn fleißig untertan – vielleicht lädt er mich wieder ein.«
Stilla spürte eine Hand an ihrem Unterarm. Schon bevor er sprach, wußte sie, daß es Odo war. »Kommt, gehen wir.«
»Übernachtet der Spielmann bei uns?«
»Ihr habt den Bischof gehört. Er wird in meinem Haus |215| willkommen sein.« Der Gelehrte reichte Stilla ihre Stiefel. Ihr Inneres trug die Wärme des Kamins.
Jetzt konnte sie die Jungen laut reden hören. Der Erpresser hatte eine halbtiefe Zwischenlage, der andere sprach noch mit
heller Knabenstimme.
»Mein Vater wurde überfallen. Er hat nichts Böses getan.«
»Na, und warum wurde er denn überfallen, he?«
»Ich hab genau gehört, wie er zu meiner Mutter gesagt hat, daß er für den Bischof etwas über die Alpen bringen muß.«
»Ach, für den Bischof, so ein Unsinn. Der hat doch Diebesgut weggeschafft, ganz sicher.«
»Hat er nicht!«
»Dein Vater war ein Halunke. Also, schleppst du jeden Tag mein Wasser, oder soll ich dir gleich deine dumme Nase brechen?«
»Wenn mein Vater noch leben würde …«
Die Unruhe wurde immer stärker in Stilla.
Ich muß etwas tun, um ihm zu helfen. Wie kann ich denn heute abend das Lied genießen, wenn der Kleine geprügelt zu Hause liegt
und heult?
»Ich möchte Euch etwas fragen«, wandte sie sich an Odo.
»Ja?«
Odo lacht mich aus. Soll er den Streit von zwei kleinen Jungen schlichten? Der Mann ist tot, wird er sagen, daran läßt sich
nichts mehr ändern. Und der schwächere der Knaben wird vom anderen unterdrückt, so ist es nun mal.
»Was haltet Ihr von diesem Spielmann?« sagte Stilla und schluckte. »Sagt mir Eure ehrliche Meinung, nicht das, was Ihr sagen müßt, weil Ihr Meister seid.«
Obwohl der Jubel im Saal so laut war, daß ihnen sicher niemand zuhören konnte, sprach Odo gedämpft. »Warum ist Euch das so
wichtig?«
»Bitte! Ich bin einfach neugierig.«
Der Gelehrte schwieg einen Moment. »Er ist begabt, auf jeden Fall. Mich stört nur die Vorstellung, daß er vor ein |216| paar Tagen noch ein Loblied vor Suppo gesungen hat, um beschenkt zu werden, und heute über ihn herzieht, als sei es das Natürlichste
von der Welt, einen der mächtigsten Männer Norditaliens zu verspotten.«
»Aber Ihr wißt doch gar nicht, ob er für Suppo gesungen hat.« Stilla fühlte Ärger in sich aufsteigen. Natürlich mußte Odo
über den Sänger schimpfen, das hatte sie schon geahnt. Seine Gelehrsamkeit vertrug sich nicht mit der schönen Musik. Trotzdem
machte es sie zornig.
»Kommt. Ich möchte ihn nicht warten lassen.«
Mit leichtem Widerstand ließ sie sich von Odo durch den Saal führen.
Ich werde ihn fragen, ob er bei Suppo war. Sicher gibt es eine gute Erklärung.
»Ich grüße Euch«, hörte Stilla die Stimme des Spielmanns ganz dicht bei ihr.
»Sie kann Eure Hand nicht sehen«, erklärte Odo trocken. »Sie ist blind.«
»Oh, verzeiht, ich hatte nicht bemerkt …«
Stilla lächelte und verachtete sich gleichzeitig für dieses Lächeln. »Aber ich kann Euch hören. Ihr habt ganz ausgezeichnet
musiziert!«
»Danke!«
Die Tür wurde geöffnet, und ein kalter Wind fuhr Stilla um Hals und Gesicht. Es roch nach trockenem Schnee. Sie zog sich den
Mantel enger um die Kehle.
Die drei hielten ihre Münder geschlossen, während sie durch die Winterstraßen stapften. Odo führte die Blinde nicht mehr am
Arm; sie wußte jede Kurve vorauszusagen, kannte den Weg im Schlaf.
Ich habe dem armen Jungen nicht geholfen.
Stilla würgte an diesem Gedanken, und sie ärgerte sich gleichzeitig darüber, daß sie sich so verantwortlich fühlte. Irgendwann hörte sie
ein ungewohntes Geräusch neben sich. Klapperte der Spielmann mit den Zähnen? »Ihr friert?«
»Sagen wir es so: Ich habe mir gerade vorgenommen, bei Gelegenheit die Löcher in meiner Kleidung zu stopfen.«
|217| »Morgen erhaltet Ihr doch einen neuen Mantel vom Bischof. Dann könnt Ihr Eure abgewetzten Kleider den Armen schenken.«
»Wo denkt Ihr hin? Ich werde den neuen Mantel drei Tage tragen, wenn es hoch kommt, und auch das nur, um Ehrwürden nicht zu
beleidigen.«
Stilla blieb stehen. »Ihr wollt – was?«
Sie spürte die Hand des Spielmanns in ihrem Rücken. »Kommt, gehen wir weiter. Diese kalte Luft ist nicht gut für das Holz
meiner Laute.«
»Was
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