Der kalte Hauch der Angst
Hindernis überwinden, und alles könnte sich ändern.
Sophie hängt eine Weile ihren Gedanken nach. So wie es in ihrem Kopf brodelt, ist sie fast versucht, sich Notizen zu machen, aber das verbietet sie sich. Sie gibt sich ein paar Tage Zeit zum Nachdenken, und wenn ihr die Lösung danach noch immer gut erscheint, wird sie ihren Plan in die Tat umsetzen.
Zum ersten Mal weicht sie von der Regel ab: Sie bleibt über eine Viertelstunde am selben Platz.
Sophie kann nicht schlafen. In der Sicherheit ihrer Wohnung kann sie es riskieren, Notizen zu machen, um klarer zu sehen. Alle Faktoren sind nun aufgelistet. Sie ergeben fünf Zeilen. Sie zündet sich eine weitere Zigarette an, liest das Aufgeschriebene noch einmal durch, dann verbrennt sie den Zettel in der Klappe des Müllschluckers. Alles hängt nun von zwei Bedingungen ab: Sie muss die richtige Person finden und ausreichend Geld zur Verfügung haben. Wenn sie irgendwo ankam, hat sie als VorsichtsmaÃnahme immer zuallererst in einem SchlieÃfach am Bahnhof einen Koffer mit dem Nötigsten deponiert, falls sie hätte fliehen müssen. Neben Kleidern und allem, was sie braucht, um ihr Erscheinungsbild zu verändern (Haartönung, Brille, Schminke usw.), hat sie auch elftausend Euro im Gepäck. Aber was dasnun kosten könnte, das wusste sie nicht. Und wenn sie nicht genügend Geld hätte?
Wie konnte dieses Kartenhaus stabil bleiben? Verrückt, nachdem sie so viele Faktoren berücksichtigen muss. Denkt sie nun darüber nach, erscheint ihr jedes einzelne praktische Hindernis überwindlich, »das dürfte sich machen lassen«, aber die Summe aller Vorbehalte, die sie als zweitrangig betrachtet, macht ihren Plan scheinbar völlig unrealistisch.
Sie hat gelernt, sich selbst zu misstrauen. Vielleicht kann sie das ja am besten. Sie atmet tief durch, sucht ihre Zigaretten und stellt fest, dass sie keine mehr hat. Der Wecker zeigt 7 Uhr 30. Ihre Schicht beginnt erst um elf.
Gegen elf Uhr abends verlässt sie das Lokal. Am Nachmittag hat es geregnet, doch nun ist es schön, die Luft kühl. Sie weiÃ, dass sie zu dieser Stunde mit ein bisschen Glück â¦Â Sie geht den Boulevard hinunter, atmet tief ein und fragt sich ein letztes Mal, ob es denn keine andere Lösung gibt, auch wenn sie weiÃ, dass sie ihr ganzes Repertoire an Möglichkeiten durchgegangen ist. Und dass sie keine bessere gefunden hat. Alles hängt jetzt von ihrem Gespür ab. Mein Gespür, dass ich nicht lache!
Autos fahren langsam vorbei, bremsen, Scheiben werden heruntergelassen, man erkundigt sich nach dem Preis und schätzt die Ware ab. Manche drehen am Ende des Boulevards um und fahren wieder zurück. Wenn Sophie anfangs spät nach Hause kam, vermied sie es, durch diese StraÃe zu gehen, aber der Umweg war lang, und irgendwann wurde ihr klar, dass ihr das im Grunde gar nicht missfiel â sie hatte ihre Beziehungen zur AuÃenwelt auf ein Minimum reduziert und fand etwas Tröstliches darin, als Anwohnerin, die manallmählich kannte, den fast vertrauten Gruà dieser Frauen zu erwidern, die sich vielleicht wie sie selbst fragten, ob sie eines Tages wohl hier herauskämen â¦
Die StraÃe ist stellenweise beleuchtet. Der erste Abschnitt ist der Aids-Boulevard. Blutjunge Mädchen scheinen wie in Trance ständig auf den nächsten Schuss zu warten. Sie sind hübsch genug, um sich im Licht zu zeigen. Weiter hinten suchen die älteren Frauen Zuflucht im Halbdunkel, und ganz hinten, in der schwarzen Nacht, ist die Ecke der Transvestiten, deren geschminkte Gesichter mit den bläulichen Wangen manchmal aus dem Dunkel auftauchen wie Karnevalsmasken.
Sophie wohnt noch weiter hinten in einem ruhigeren, aber auch finstereren Abschnitt. Da steht die Frau, an die sie gedacht hat. Um die fünfzig, ausgebleichtes blondes Haar, gröÃer als Sophie, mit ihrem üppigen Busen in der Korsage dürfte sie eine gewisse Kundschaft anziehen. Die Frauen schauen einander an, Sophie bleibt vor ihr stehen.
»Entschuldigen Sie â¦Â ich brauche eine Auskunft.«
Sophie hört den klaren, festen Klang ihrer Stimme. Sie ist selbst erstaunt über ihre Selbstsicherheit.
Und bevor die Frau noch etwas sagen kann, fügt Sophie hinzu: »Ich kann bezahlen« und zeigt den 50-Euro-Schein in ihrer Hand.
Die Frau beäugt sie kurz, dann blickt sie sich um, lächelt dünn und sagt mit
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