Der kalte Hauch der Angst
heftiger Kampf um Einflusssphären, bei dem im Zeitraffer alle Stadien eines echten Kleinkriegs durchlaufen werden: Angreifen, Ausweichen, erneuter Aufmarsch, Einschüchterung, vermeintlicher Rückzug, Strategiewechsel â¦
Sophie bekommt es bald satt. Sie hat erfahren, was sie wissen wollte: den Preis, das Niveau der Klientel, wie die Treffen ablaufen, welche Sicherheiten sie hat. Sie begnügt sich mit einem verlegen, aber überzeugt gestammelten »Ich werde es mir überlegen«, dann geht sie. Sie hat getan, was sie konnte, um die Phantasie der Frau nicht zu sehr anzuregen. Ohne zu zögern, hat sie einen falschen Namen, eine falsche Adresse und eine falsche Telefonnummer angegeben. Auf dem Rückweg zum Bus weià Sophie, dass sie nie wieder hierherkommen wird, aber ihre Hoffnung hat sich bestätigt: Wenn alles gut geht, hat sie bald eine ganz neue und völlig untadelige Identität.
Du wirst gewaschen wie schmutziges Geld, Sophie.
Dank einer ordnungsgemäÃen Geburtsurkunde, ausgestelltauf einen falschen Namen. Nun muss sie nur noch einen Ehemann auftreiben, der ihr einen neuen, einwandfreien, über jeden Verdacht erhabenen Namen gibt â¦
Sie wird unauffindbar sein.
Eine Sophie wird verschwinden, die Diebin, die Mörderin, adieu Sophie, die Irre.
Und aus dem schwarzen Loch kommt:
Sophie, die Makellose.
11
S OPHIE HAT NICHT VIELE Krimis gelesen, aber sie hat ein Bild im Kopf: das verrauchte Hinterzimmer einer Kneipe in einem anrüchigen Viertel, voller unsympathischer, Karten spielender Männer. Stattdessen befindet sie sich in einer groÃen, vollständig weià gestrichenen Wohnung mit einem Panoramafenster, durch das man einen Blick auf den GroÃteil der Stadt hat, zusammen mit einem etwa vierzigjährigen Mann, der, zugegeben, nicht sehr freundlich, aber sichtlich kultiviert ist.
Diese Wohnung ist die Karikatur all dessen, was sie verabscheut: Glasschreibtisch, Designersessel, Wandbehang mit abstraktem Muster â¦Â Das Werk eines Innenarchitekten mit Allerweltsgeschmack.
Der Mann sitzt hinter seinem Schreibtisch, Sophie steht davor. Eine Nachricht in ihrem Briefkasten hat sie zu unmöglicher Stunde hierher zitiert. Lediglich eine kurze Notiz mit Uhrzeit und Adresse, nichts weiter. Sie musste sich aus dem Fast-Food-Lokal wegstehlen und hat es nun eilig.
»Sie brauchen also eine Geburtsurkunde«, sagt der Mann nur und schaut sie an.
»Ist nicht für mich â¦Â ist â¦Â«
»Machen Sie sich keine Mühe, das spielt keine Rolle â¦Â«
Sophie mustert den Mann und versucht sich sein Gesicht einzuprägen. Eher um die fünfzig, ansonsten nichtssagend. Ein Jedermann.
»Unser Ruf in der Branche ist unanfechtbar. Unsere Produkte sind von bester Qualität«, fährt der Mann fort. »Das ist unser Geheimnis.«
Eine schmeichelnde, feste Stimme. Man fühlt sich in zuverlässigen Händen.
»Wir können Ihnen eine gute, solide Identität verschaffen. Selbstverständlich können Sie diese nicht ewig verwenden, aber unsere Ware ist auf jeden Fall für einen angemessenen Zeitraum von tadelloser Qualität.«
»Wie viel?«, fragt sie.
»Fünfzehntausend Euro.«
»So viel habe ich nicht.«
Sophie hat geschrien. Der Mann ist ein Zwischenhändler. Er überlegt kurz, dann verkündet er in einem Ton, der keine Widerrede mehr zulässt: »Unter zwölftausend gehen wir nicht.«
Das ist mehr, als sie hat. Und selbst wenn sie das fehlende Geld auftreiben kann, hätte sie nichts mehr. Ihr ist, als würde sie in einem brennenden Haus vor einem offenen Fenster stehen: springen oder nicht. Eine zweite Chance gibt es nicht. Sie versucht, im Blick ihres Gegenübers abzuschätzen, in welcher Position sie ist. Er rührt sich nicht mehr.
»Und wie läuft das?«, fragt sie schlieÃlich.
»Ist ganz einfach.«
Das Lokal ist brechend voll, als Sophie mit zwanzig Minuten Verspätung zurückkommt. Sie sieht, wie Jeanne das Gesicht verzieht und ans andere Ende der Theke deutet. Sophie hat nicht einmal mehr Zeit, sich umzuziehen.
»Willst du mich verarschen?«
Der Filialleiter hat sich auf sie gestürzt. Um nicht die Aufmerksamkeit der Gäste zu erregen, ist er ganz dicht an sie herangekommen, als wolle er sie schlagen. Sein Atem riecht nach Bier. Er spricht mit zusammengebissenem Kiefer.
»Machst du das noch mal, dann schmeià ich dich
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