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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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rauchiger Stimme: »Hängt davon ab, welche Auskunft …«
    Â»Ich brauche Papiere.«
    Â»Was für Papiere?«
    Â»Eine Geburtsurkunde. Egal, auf welchen Namen. Wichtig ist nur das Datum, also … das Geburtsjahr. Wissen Sie vielleicht, wohin ich mich wenden kann?«
    Im Idealfall hatte sich Sophie vorgestellt, so etwas wie Mitgefühl, ja Verständnis zu finden, aber das war ein romantisches Szenario. Schließlich ging es nur ums Geschäft.
    Â»Ich brauche das … Bin auch bereit, angemessen dafür zu bezahlen. Geben Sie mir einfach einen Namen, eine Adresse …«
    Â»So einfach geht das nicht.«
    Die Frau macht auf dem Absatz kehrt, noch bevor Sophie reagieren kann. Sie bleibt wie angewurzelt stehen, unsicher. Dann dreht sich die Frau noch einmal um und sagt nur: »Komm nächste Woche wieder, ich werde mich umhören.«
    Die Frau streckt die Hand aus und wartet, ihre Blicke bohren sich in Sophies Augen. Sophie zögert, wühlt in ihrer Tasche, zieht einen zweiten Schein heraus, der auch sofort verschwindet.
    Da sie nun festsitzt und ihr keine bessere Lösung einfällt, wartet Sophie nicht das Ergebnis ihres ersten Schrittes ab, bevor sie den zweiten unternimmt. Sicherlich ein heimliches Bedürfnis, das Schicksal herauszufordern. Am übernächsten Tag hat sie mitten am Nachmittag Schicht und geht auf Erkundung. Sie will auf der anderen Seite der Stadt ein Ziel suchen, gleich weit vom Lokal und von ihrer Wohnung entfernt.
    Am Boulevard Faidherbe steigt sie aus dem Bus und geht ein gutes Stück, sie hat einen Stadtplan, damit sie nicht nach dem Weg fragen muss. Sie läuft absichtlich an der Agentur vorbei, ohne Eile, damit sie einen Blick hineinwerfen kann, aber sie sieht nur ein leeres Büro mit Ordnern und ein paar Plakaten an der Wand. Sie überquert die Straße, geht ein Stück zurück und betritt ein Café, von dem aus sie das Fenster der Agentur beobachten kann, ohne gesehenzu werden. Ihre Observation ist genauso enttäuschend wie ihr erster Blick: ein Ort, an dem es nichts zu sehen gibt, eine dieser Agenturen, die absichtlich ein unpersönliches Ambiente pflegen, um die Klientel nicht abzuschrecken. Ein paar Minuten später bezahlt Sophie ihren Kaffee, geht zielstrebig über die Straße und macht die Tür auf.
    Das Büro ist noch immer leer, aber beim Klingeln der Türglocke erscheint gleich eine etwa vierzigjährige, mit Schmuck behängte Frau mit ziemlich schlampig rot gefärbtem Haar und streckt ihr die Hand hin, als würde sie Sophie schon von Kindesbeinen an kennen.
    Â»Myriam Desclées«, verkündet sie.
    Ihr Name ist wohl genauso falsch wie ihre roten Haare. Sophie antwortet mit »Catherine Guéral«, was paradoxerweise irgendwie echt klingt.
    Offensichtlich bildet sich die Agenturleiterin etwas auf ihre psychologischen Kenntnisse ein. Sie hat die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, ihr Kinn auf die Hände gelegt und fixiert Sophie mit einem halb verständnisvollen, halb leidenden Lächeln, das von häufigem Umgang mit menschlichem Schmerz zeugen soll. Vom Honorar gar nicht zu reden.
    Â»Sie fühlen sich einsam, nicht wahr?«, säuselt sie.
    Â»Ein bisschen …«, wagt sich Sophie vor.
    Â»Erzählen Sie mir von sich.«
    Sophie geht im Geiste schnell den Spickzettel durch, den sie sorgfältig aufgestellt hat, nachdem sie alles durchdacht und abgewogen hat.
    Â»Ich heiße Catherine, bin dreißig Jahre alt … «, beginnt sie.
    Das Gespräch könnte zwei Stunden dauern. Sophie merkt, dass die Frau mit allen Tricks arbeitet und auch nicht vorden durchsichtigsten zurückscheut, um sie zu überzeugen, dass sie »verstanden« wird, dass sie endlich das aufmerksame und erfahrene Ohr gefunden hat, das sie braucht. Kurzum, sie soll wissen, dass sie in guten Händen ist, in den Händen einer Übermutter, die ein weiches Herz hat und alles auf Anhieb versteht, was sie durch ihre Mimik zu verstehen gibt. Mal will sie sagen: »Sie müssen nicht weiterreden, ich habe alles verstanden«, mal: »Ich habe Ihr Problem genauestens erfasst.«
    Sophies Zeit ist begrenzt. So unbeholfen, wie sie nur kann, fragt sie, »wie das denn abläuft«, und sagt, sie müsse wieder zur Arbeit.
    Solche Situationen sind immer ein Wettlauf gegen die Zeit. Der eine will aufhören, der andere weitermachen. Es ist ein

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