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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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Gesicht, ist der einzige Mensch, mit dem Sophie sich anfreunden konnte. Das Riesenarschloch hingegen ist vielleicht dreißig, sehr braun, groß, nach Feierabend Bodybuilder, trägt Krawatte wie ein Abteilungsleiter im Kaufhaus. Und in drei Punkten nimmt er es besonders genau: Arbeitszeiten, Löhne und der Hintern der Bedienungen. In den Stoßzeiten »führt er seine Mannschaft« wie ein Feldwebel, und am Nachmittagbetatscht er den Hintern der geduldigsten Mädchen, denn die anderen suchen schnell das Weite. Für ihn läuft alles bestens. Hier wissen alle, dass er mit der Geschäftsleitung kungelt, Hygiene nur ein großes Wort ist und warum er seinen Beruf so liebt: In guten wie in schlechten Jahren streicht er zwanzigtausend Euro schwarz ein und bumst ein Dutzend Bedienungen, die zu allem bereit sind, um einen nach allen sozialen Maßstäben miesen Job zu bekommen oder zu behalten. Während Sophie den Fliesenboden wischt, sieht sie, dass er sie beobachtet, das heißt, er sieht sie nicht richtig an, er schätzt sie mit einer Miene ab, als könne er sie haben, wann immer er will. Sein Blick verrät, was er denkt: Es sind »seine« Mädchen. Sophie fährt mit ihrer Arbeit fort und sagt sich, dass sie sich schleunigst etwas anderes suchen muss.
    Seit sechs Wochen arbeitet sie hier. Er hat sie anstandslos eingestellt und ihr auch noch auf Anhieb eine praktische Lösung für ihr ständiges Problem geboten.
    Â»Willst du auf Lohnzettel arbeiten oder schwarz?«
    Â»Schwarz«, sagte Sophie.
    Â»Wie heißt du?«
    Â»Juliette.«
    Â»Also dann los, Juliette.«
    Schon am Tag darauf hat sie angefangen. Ohne Arbeitsvertrag, bezahlt in bar; sie sucht sich ihre Arbeitszeiten nicht aus, lässt sich anormale Schichten aufdrücken, zwischen denen sie nicht mal Zeit hat, nach Hause zu gehen, sie wird öfter als die anderen in der Spätschicht eingesetzt und kommt nachts nach Hause. Sie tut so, als würde sie darunter leiden, dabei kommt ihr das alles sehr gut zupass. In einem abgelegenen Viertel hat sie eine Unterkunft gefunden, weit draußen, wo nachts der Straßenstrich ist. Niemand in der Nachbarschaft kennt sie, sie geht frühmorgens weg undkommt zurück, wenn ihre Nachbarn bereits vor dem Fernseher sitzen oder schlafen. Wenn sie spätnachts Feierabend hat und der letzte Bus schon weg ist, leistet sie sich ein Taxi. Sie nutzt die Pausen, um sich umzusehen und eine andere Wohnung, eine andere Arbeit zu suchen, für die keine Papiere von ihr verlangt werden. Das war von Anfang an ihre Taktik: Sie zieht irgendwohin, und dann macht sie sich umgehend auf die Suche nach einem neuen Fluchtpunkt, einem neuen Job, einer neuen Bleibe … Nie zu lange an einem Ort bleiben. Immer weiterziehen. Zu Beginn erschien es ihr einfach, wenn auch anstrengend, ohne Papiere zu leben. Sie schlief immer wenig, sorgte dafür, mindestens zweimal pro Woche ihren Tagesablauf zu ändern, egal, wo sie war. Ihre Haare sind wieder gewachsen, nun hat sie eine andere Frisur. Sie hat sich eine Brille mit Fensterglas zugelegt. Sie ist immer auf der Hut. Regelmäßig zieht sie um. Sie hat schon in vier Städten gelebt, und diese hier ist nicht mal so unangenehm. Am unangenehmsten ist die Arbeit.
    Montag ist der schlimmste Tag: drei ungleiche Schichten über insgesamt sechzehn Stunden verteilt. Gegen elf Uhr ging sie durch eine Straße, sie wollte sich ein paar Minuten (»Höchstens zehn Minuten, Sophie, auf keinen Fall mehr!«) in einem Straßencafé ausruhen und einen Kaffee trinken. Am Eingang hat sie sich eine Gratis-Zeitschrift mit marktschreierischer Reklame genommen und eine Zigarette angezündet. Der Himmel begann sich zuzuziehen. Beim Kaffee dachte sie über die kommenden Wochen nach (»Immer alles im Voraus planen, immer!«). Zerstreut blätterte sie in der Zeitschrift. Seitenweise Handy-Werbung, unzählige Anzeigen für Gebrauchtwagen … Und plötzlich hielt sie inne, stellte ihre Tasse ab, drückte ihre Zigarette aus und zündetegleich nervös eine andere an. Sie schloss die Augen. »Das wäre zu schön, Sophie, nein, überleg es dir gut.«
    Doch sie hat es sich gut überlegt … Es ist kompliziert, aber ihrer Ansicht nach eine Möglichkeit, aus allem herauszukommen, eine definitive Lösung, insgesamt zwar kostspielig, aber von immenser Sicherheit.
    Ein letztes größeres

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