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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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geschah:
    Am 28. Mai letzten Jahres fand die Putzfrau der Familie Gervais kurz vor Mittag die Leiche des sechsjährigen Léo. Das Kind war in seinem Bett mit einem Schnürsenkel von Wanderschuhen erdrosselt worden. Sie rief sofort die Polizei. Der Verdacht fiel sehr schnell auf Léos Kindermädchen, das auf ihn aufpassen sollte. Sophie Duguet (28 J.), geb. Auverney, ist bis jetzt unauffindbar. Die erste Bestandsaufnahme belastet die junge Frau schwer: Es gibt keine Einbruchsspuren in der Wohnung; Madame Gervais, Léos Mutter, hatte sich morgens um … Uhr, als sie davon ausging, dass das Kind noch schlief, in der Wohnung von Sophie Duguet verabschiedet. Die Autopsie ergab, dass das Kind zu diesem Zeitpunkt bereits tot war.
    Die Kriminalpolizei rechnete umso mehr mit einer schnellen Festnahme, da dieses Verbrechen in den darauf folgenden Tagen Stürme der Entrüstung ausgelöst hatte. Die Verbreitung durch die Medien war vor allen Dingen der Tatsache geschuldet, dass das junge Opfer der Sohn eines engen Mitarbeiters des Außenministers war. Man erinnert sich, dass die extreme Rechte, vertreten durch Pascal Mariani, und andere Verbände, von denen sich jedoch offenbar einige bereits wieder aufgelöst haben, den Fall nutzten, um die Wiedereinführung der Todesstrafe für »besonders abscheuliche Verbrechen« zu propagieren; diese Ansichten vertrat besonders lautstark der rechte Abgeordnete Bernard Strauss.
    Laut Innenministerium konnte sich Duguets Flucht nicht mehr lange hinziehen. Durch die schnelle Reaktion der Polizei hatte sie sicherlich keine Möglichkeit, das Land zu verlassen. Flughäfen und Bahnhöfe sind noch immer in Alarmbereitschaft. »Die seltenen Fälle einer gelungenen Flucht waren immer der Erfahrung und einer intensiven Vorbereitung geschuldet«, versichert Kriminalkommissar Bertrand überzeugt. Die junge Frau aber verfügte nur über bescheidene finanzielle Mittel, und sie hatte auch keine Verbindung zu Personen, die ihr bei der Flucht hätten helfen können, mit Ausnahme ihres Vaters Patrick Auverney, Architekt im Ruhestand, der sofort unter polizeiliche Beobachtung gestellt wurde.
    Dem Justizministerium zufolge war die Festnahme eine Sachevon »wenigen Tagen«. Das Ministerium des Inneren wagte sogar die Prognose, dass es höchstens »acht bis zehn Tage« dauern könne. Die Polizei war vorsichtiger und sprach von »höchstens ein paar Wochen …«. Das alles ist nun über acht Monate her.
    Was ist geschehen? Das weiß niemand genau. Aber Tatsache ist, dass sich Sophie Duguet im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aufgelöst hat. Mit erstaunlicher Unverfrorenheit hat die junge Frau die Wohnung verlassen, wo die Leiche des kleinen Léo lag. Sie fuhr nach Hause, holte Kleider und Papiere, dann ging sie auf die Bank, wo sie fast ihr ganzes Vermögen abhob. Bestätigt ist ihre Anwesenheit an der Gare de Lyon, danach verliert sich ihre Spur. Die Ermittlungsbeamten sind sich sicher, dass weder der Mord an dem Kind noch ihre Flucht geplant waren. Sophie Duguet verfügt demnach über eine besorgniserregende Improvisationsgabe.
    Fast alles an diesem Fall liegt im Dunkeln. So ist auch das Motiv der Frau unbekannt. Die Ermittler wiesen darauf hin, dass Sophie Duguet durch zwei aufeinanderfolgende Todesfälle schweren Belastungen ausgesetzt war: Ihre Mutter, die Ärztin Catherine Auverney, starb im Februar 2000 an Krebs; ihr Mann, der Chemiker Vincent Duguet, war nach einem Autounfall gelähmt und nahm sich im Jahr darauf das Leben. Der Vater der Frau – und offenbar ihr einziger Halt – ist skeptisch gegenüber diesen Hypothesen, weigert sich aber, mit der Presse zu sprechen.
    Dieser Fall wurde schnell zu einem echten Rätsel für die Behörden. Am 30. Mai, zwei Tage nach dem Mord an dem kleinen Léo, wurde die Übersetzerin Véronique Fabre (32 J.) von ihrem Freund Jacques Brusset in ihrer Pariser Wohnung tot aufgefunden. Die junge Frau wurde mit mehreren Messerstichen in den Bauch getötet. Die Autopsie ergab, dass der Mord am frühen Nachmittag des Fluchttages von Sophie Duguet begangenwurde. Die Analyse der DNS, die am Tatort gesichert werden konnte, bestätigt zweifelsfrei, dass Sophie Duguet sich in der Wohnung des Opfers aufgehalten hat. Darüber hinaus wurde mit den in der Wohnung von Véronique Fabre gestohlenen Papieren ein Wagen gemietet. Alle

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