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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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sonst kommen wir ja nie weiter.«
    Der Ober bringt die beiden Entrecôtes mit Salat. Sie essen schweigend. Sophie findet, sie sollte sagen, dass das Entrecôte schmeckt, sie fühlt sich aber unfähig zu jedem weiteren Wort. Die riesige Wüste, die sie trennt, scheint sich schleichend zwischen ihnen auszubreiten wie eine Pfütze, die größer und größer wird …
    Â»Nicht schlecht, was?«
    Â»Ja, gut. Sehr gut.«
    Aber nichts zu machen. Sophie hat wirklich nicht den Mumm, das Gespräch wiederaufzunehmen, es ist zu anstrengend. Sie muss ihr Entrecôte essen und durchhalten. Sich festklammern. Zum ersten Mal sieht sie ihn eingehend an. Ein Meter sechsundsiebzig, vielleicht auch eins achtzig. Ganz gut gebaut, breite Schultern, der macht Sport bei der Armee, große Hände mit gepflegten Nägeln. Das Gesicht: ein freundliches Hundegesicht. Die Haare dürften widerspenstig sein, wären sie nicht so kurz geschnitten, die Nase etwas fleischig, der Blick nicht besonders ausdrucksvoll. Ja, ein richtig athletischer Mann. Komisch, dass er ihr beim ersten Mal so klein vorkam. Sicherlich liegt es an seinem Wesen, an diesem Kindlichen, das er sich bewahrt hat. Eine Arglosigkeit. Auf einmal beneidet Sophie ihn. Sie beneidet seine Schlichtheit, und zum ersten Mal ist es ohne Verachtung. Sie wird sich darüber klar, dass sie bislang in ihm ein Objekt gesehen und ihn verachtet hat, ohne ihn überhaupt zu kennen. Sie hat sich verhalten wie ein Mann.
    Â»Wir stecken fest, oder?«, fragt sie schließlich.
    Â»Fest?«
    Â»Ja, die Unterhaltung ist ein bisschen mühsam …«
    Â»Na ja, es ist eben nicht so einfach«, sagt er schließlich.»Wenn wir Gesprächsstoff haben, geht es ganz leicht vorwärts, aber wenn man kein Thema findet … Es hat ja ganz gut angefangen, der Kellner hätte nicht in jenem Moment kommen dürfen.«
    Sophie muss lächeln.
    Jetzt ist es keine Müdigkeit mehr. Auch keine Verachtung. Was ist es? Etwas Nichtiges. Leeres. Vielleicht strahlt ja er dieses Leere aus.
    Â»Also, was machen Sie noch mal?«
    Â»Nachrichtentechnik.«
    Â»Na prima …«
    Â»Was?«
    Â»Nachrichtentechnik. Erzählen Sie mir davon.«
    Der Feldwebel legt los. Wenn er in seinem Element ist, dann ist er gesprächig. Sie hört nicht zu. Verstohlen schaut sie auf die Uhr. Aber hätte es denn anders laufen können? Was hat sie erwartet? Einen neuen Vincent? Sie sieht sich wieder in ihrem Haus, ganz zu Anfang. Als sie sich darangemacht hat, das Wohnzimmer zu streichen. Vincent hat sich einfach hinter sie gestellt. Er hat nur die Hand auf ihren Nacken gelegt, und Sophie wurde von dieser Kraft erfüllt …
    Â»Das interessiert Sie wohl nicht, Nachrichtentechnik, was?«
    Â»Nein, ganz im Gegenteil!«
    Â»Im Gegenteil? Begeistert es Sie?«
    Â»Nun, das würde ich nicht sagen.«
    Â»Ich weiß, was Sie denken, wissen Sie …«
    Â»Glauben Sie?«
    Â»Ja. Sie sagen sich: ›Ein netter Kerl, mit seinen Geschichten über Nachrichtentechnik, aber sterbenslangweilig.‹ Entschuldigen Sie diesen Ausdruck. Sie schauen auf die Uhr, Sie denken an etwas anderes. Sie wären gern woanders. Besser, ich sage es Ihnen gleich: ich auch. Sie machen mich verlegen,wissen Sie? Sie versuchen, nett zu sein, weil es nun mal sein muss, weil wir nun mal hier sind … Also unterhalten wir uns. Wir haben uns nicht viel zu sagen. Ich frage mich …«
    Â»Ich bitte Sie um Verzeihung, ich war mit meinen Gedanken woanders, das stimmt … Ihr Beruf ist ausgesprochen technisch …«
    Â»Nicht nur technisch. Vor allem liegt es daran, dass ich Ihnen nicht gefalle. Ich frage mich …«
    Â»Ja?«
    Â»Ich frage mich, warum Sie mich angerufen haben. Wieso? Was wollen Sie eigentlich von mir? Wie geht denn Ihre Geschichte?«
    Â»Na, das kann zwei, drei Jahre dauern. Manche schaffen es nie. Aber mein Kumpel, der hat ziemlich viel Glück gehabt.«
    Sie lachen kurz. Am Ende des Essens weiß sie nicht mehr, warum. Sie gehen am Fluss entlang. Schneidende Kälte. Nach ein paar Dutzend Schritten hakt sie sich bei ihm unter. Ein kurzes Einverständnis hat sie einander nähergebracht. Schließlich hat er sich am Ende gar nicht so schlecht aus der Affäre gezogen, hat darauf verzichtet, sich großzutun. Er hat einfache Dinge gesagt: »Jedenfalls sollte man sich

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