Der kalte Hauch der Angst
Frau an ihrer Stelle auch tun würde. Doch weil sie ziemlich hübsch ist, fällt es ihr noch leichter. Seit sie mit ihm ausgeht, hat sie wieder Schminkzeug gekauft, achtet wieder etwas mehr auf ihre Kleidung, ohne zu übertreiben. Von Zeit zu Zeit träumt der Feldwebel ganz offensichtlich von etwas Bestimmtem. Sophie hat seit Jahren nicht mehr den begehrlichen Blick eines Mannes auf sich gespürt. Sie findet das befremdlich.
»Darf ich fragen, wohin es denn nun geht?«
»Hatten wir nicht gesagt in Alien?«
»Nein, ich meinte, wir beide, wo stehen wir?«
Sophie weià genau, wo sie stehen. Sie hat noch knapp zwei Monate, um die Sache abzuschlieÃen. Abzüglich der Zeit, die es kostet, das Aufgebot zu bestellen. Jetzt kann sie sich nicht mehr umentscheiden. Keine Zeit. Mit einem anderen müsste sie noch einmal von vorn anfangen. Keine Zeit. Sie schaut ihn an. Sie hat sich an dieses Gesicht gewöhnt. Oder sie braucht ihn einfach. Das Ergebnis ist dasselbe.
»Wissen Sie denn, wo Sie stehen?«, fragt sie.
»Ich denke schon, ja. Und das wissen Sie auch. Ich frage mich wirklich, warum Sie Ihre Meinung geändert haben. Als Sie mich angerufen haben â¦Â«
»Ich habe meine Meinung nicht geändert, ich habe nur Zeit gebraucht, um nachzudenken.«
»Doch, Sie haben Ihre Meinung geändert. Bei unserem ersten Treffen hatten Sie sich bereits entschieden. Es war ein Nein. Ich frage mich, ob Sie nun wirklich Ihre Meinung geändert haben und warum.«
Sophie zündet sich eine weitere Zigarette an. Sie sitzen in einer Brasserie. Der Abend ist gar nicht so langweilig verlaufen. Wenn sie ihn ansieht, weià sie, dass sich dieser Mann in sie verliebt hat. Hat sie ausreichend gut gespielt, um glaubwürdig zu sein?
»Stimmt. Beim ersten Treffen war ich nicht gerade hingerissen â¦Â Ich â¦Â«
»Und Sie haben andere Männer getroffen. Und die waren noch schlimmer, also haben Sie sich gesagt â¦Â«
Sophie schaut ihm in die Augen.
»Sie nicht?«
»Marianne, ich glaube, Sie belügen mich ganz schön. Ich meine â¦Â Sie lügen gut, aber sehr viel.«
»In Bezug auf was?«
»Das weià ich nicht. Vielleicht in Bezug auf alles.«
Manchmal verrät dieses Gesicht eine solche Sorge, dass ihr das Herz schwer wird.
»Ich nehme an, Sie haben Ihre Gründe«, fährt er fort. »Ich habe so meine Vermutungen, aber ich will nicht darin herumstochern.«
»Warum?«
»Wenn Sie eines Tages mit mir darüber reden wollen, werden Sie es auch tun.«
»Und was für eine Vermutung haben Sie?«
»In Ihrer Vergangenheit gibt es Dinge, über die Sie nicht sprechen wollen. Und mir ist das egal.«
Er sieht sie an, zögert, bezahlt die Rechnung, dann wagt er sich vor: »Sie â¦Â Sie â¦Â Ich weià auch nicht, aber Sie â¦Â müssen mal im Gefängnis gewesen sein oder so was.«
Er fixiert sie wieder, aber diesmal schielt er sie von der Seite an. Sophie rechnet schnell nach.
»Sagen wir, es ist etwas in dieser Art. Nichts Schlimmes, wissen Sie, aber ich habe keine Lust, darüber zu reden.«
Er nickt komplizenhaft.
»Aber was wollen Sie denn nun eigentlich genau?«
»Einfach nur eine normale Frau sein, mit einem Mann und Kindern.«
»Das scheint aber gar nicht Ihr Stil zu sein.«
Sophie läuft es bei diesen Worten kalt über den Rücken. Sie versucht zu lächeln. Sie stehen in der Tür des Lokals. Die Nacht ist dunkel, die Kälte schlägt ihnen ins Gesicht. Sie hat sich bei ihm untergehakt, wie sie es sich angewöhnt hat. Sie dreht sich zu ihm.
»Ich würde gern mit dir nach Hause gehen. Aber das ist vielleicht nicht dein Stil â¦Â«
Er schluckt.
Er kümmert sich. Er ist immer aufmerksam. Als Sophie weint, sagt er: »Wir müssen ja nicht â¦Â« Sie sagt: »Hilf mir.« Er wischt ihr die Tränen ab. Sie sagt: »Es ist nicht deinetwegen, weiÃt du â¦Â« Er sagt: »Ich weiàâ¦Â« Sophie denkt, dass dieser Mann alles verstehen könnte. Er ist ruhig, besonnen, genau; das hätte sie gar nicht gedacht. Es ist so lange her, dass sie einen Mann in sich empfangen hat. Sie schlieÃt kurz die Augen, als wäre ihr schwindelig, und als wollte sie, dass die Welt aufhört, sich so schnell zu drehen. Sie führt ihn. Sie begleitet ihn. Sie nimmt seinen Geruch wahr, den sie
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