Der kalte Hauch der Angst
steht auf, drückt auf den Halteknopf und wartet auf die nächste Haltestelle. Sie hat den Eindruck, der Bus lege noch weitere Kilometer zurück, bevor er endlich hält. Mit ihrem Schritt einer Aufziehpuppe geht sie den Boulevard hinauf. Es war doch gar nicht so weit. Auf dem Plakat sieht man eine junge schwarze Frau mit einem arglosen, charmanten Lächeln und einer Art Turban auf dem Kopf, so einem Ding, nach dem im Kreuzworträtsel immer gefragt wird. Im Hintergrund ein Postkartenstrand. Sophie geht auf die andere StraÃenseite und dreht sich um, um das Plakat noch einmal aus der Entfernung zu betrachten. Das ist ihre Art, nachzudenken.
»Positiv«, hat der Feldwebel gesagt. »Ich mag das nicht so sehr, wissen Sie, ich reise nicht so gern, aber trotzdem habe ich meine Möglichkeiten. Ich habe einen Kumpel, Feldwebel wie ich, er geht nach Madagaskar. Wohlgemerkt, ich verstehe das â seine Frau ist von dort. Man würde es ja kaum glauben, aber es gibt gar nicht so viele, die die GroÃstadt verlassen wollen, wissen Sie? Nicht so viele â¦!«
Nicht so viele.
Sie hat die ganze Fahrt über darüber nachgedacht. Kurz vor ihrem Haus geht sie in eine Telefonzelle und wühlt in ihrer Tasche.
»Gut, ich weië, hatte der kleine Feldwebel schüchtern gesagt, »das macht einen schlechten Eindruck, aber ich will sagen, ich meine â¦Â Könnte ich vielleicht Ihre Telefonnummer haben? Hier ist meine. Das ist meine Privatnummer. Man weià ja nie â¦Â«
Am Ende ihrer Unterhaltung gab sich der Soldat längst nicht mehr so arrogant wie am Anfang, er wirkte sehr viel weniger siegessicher.
»Ich merke schon, dass ich nicht Ihr Typ bin â¦Â Sie brauchen einen Intellektuelleren.«
Er hatte unbeholfen gelächelt.
»Hallo?«
»Guten Abend«, sagt Sophie. »Hier ist Marianne Leblanc. Störe ich?«
In Wirklichkeit ist der Feldwebel gar nicht so klein, er ist sogar einen halben Kopf gröÃer als Sophie, aber er ist so schüchtern, dass er kleiner wirkt. Als Sophie das Café betritt, steht er linkisch auf. Sie sieht ihn mit anderen Augen, ob mit neuen oder alten Augen 8211; eins jedoch kann sie sagen: Dieser Mann ist ziemlich hässlich. Sie versucht sich einzureden: eher nichtssagend, doch eine innere Stimme flüstert ihr zu: Nein, hässlich.
»Was möchten Sie trinken?«
»Ich weià nicht â¦Â Einen Kaffee? Und Sie?«
»Dasselbe â¦Â einen Kaffee.«
Und so sitzen sie eine Weile da und lächeln sich verlegen an.
»Ich freue mich, dass Sie angerufen haben â¦Â Zittern Sie immer so?«
»Ich bin nervös.«
»Das ist normal. Ich ja auch, aber ich will nicht von mir sprechen â¦Â Irgendwie wissen wir nicht so recht, was wir miteinander reden sollen, was?«
»Vielleicht haben wir uns ja nichts zu sagen!«
Sie bereut es gleich. »Tut mir leid â¦Â«
»Negativ! Ich â¦Â«
»Ich bitte Sie, sagen Sie jetzt nicht alle naselang âºnegativâ¹ und âºpositivâ¹Â â¦Â Das ist einfach furchtbar.«
Das war unhöflich.
»Ich habe das Gefühl, mit einem Computer zu reden«, sagt sie zur Entschuldigung.
»Sie haben recht. Das ist eine Berufskrankheit. Aber in Ihrem Beruf haben Sie sicherlich auch Angewohnheiten, oder etwa nicht?«
»Ich bin Putzfrau, meine Angewohnheiten sind nicht anders als die anderer Leute auch, zumindest derer, die selbst putzen.«
»Das ist lustig, ich habe es Ihnen beim ersten Mal nicht gesagt, aber man würde bei Ihnen nie auf die Idee kommen, dass Sie Putzfrau sind. Sie sehen sehr viel gebildeter aus â¦Â«
»Ja, ich â¦Â ich habe studiert, aber das interessiert mich nicht mehr. Können wir ein andermal darüber sprechen, wenn es Sie nicht stört.«
»O nein, mich stört gar nichts, wissen Sie, mit mir kommt man gut aus.«
»Gut«, sagt Sophie, »dann fangen wir jetzt ganz bei null an. Ja?«
»Aber wir sind doch bei null!«
Vielleicht ist er im Grunde ja gar nicht so blöd.
Ein kleines »Warum nicht?« schleicht sich in Sophies Kopf. Doch zuvor muss sie sich sicher sein: Seine hervorstechende Qualität ist im Moment, dass er sich vorstellen kann, aus der GroÃstadt wegzuziehen. Das muss sie rasch nachprüfen.
Sophie hatte sich für ein Treffen am Abend entschieden. Sie sitzen seit einer Stunde hier. Der
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