Der kalte Hauch der Angst
Ich wollte lieber schnell einschlafen. Sophie ist reizend; nach allem, was ich sehe, ist sie auch ziemlich gut im Bett, aber ich darf nicht aufallen Hochzeiten tanzen. Mir ist klar, dass ich so wenig Zuneigung wie möglich für sie entwickeln darf, ich kann mich ja schon schwer genug gegen die Antipathie wehren, die ich für ihren Mann hege.
1. Oktober
Ich habe mehrere Simulationen vorgenommen und mir Accounts auf Gratis-Servern eingerichtet. Mein Plan ist mittlerweile sozusagen ausgereift, und die Operation »Störung des Mail-Verkehrs« kann beginnen. Sophie wird eine Weile brauchen, bis sie merkt, dass einige Mails auf einen Tag vor oder nach dem Datum datiert sind, an dem sie sie ihrer Meinung nach abgeschickt hatte. Manchmal spielt einem das Gehirn eben Streiche â¦
6. Oktober
Binnen eines knappen Monats hatte ich zwar mein altes Motorrad verkauft, ein neues gekauft und mir einen anderen Overall zugelegt, aber mein Selbstvertrauen hatte gelitten. Mir war zumute wie einem Reiter, der auf die Schnauze gefallen ist und Angst hat, sich wieder in den Sattel zu setzen. Ich musste meine Ãngste überwinden. Und obwohl ich nicht mehr ganz so unbekümmert bin wie zuvor, ist am Ende alles gut verlaufen. Sie sind auf der Autobahn nach Nordengefahren, Richtung Lille. Da sie nach einem solchen Tagesausflug abends immer nach Hause kommen, hoffte ich, dass sie nicht allzu weit fahren würden, und ich hatte recht. Im Grunde ist es ganz einfach: Sophie und ihr Mann suchen ein Landhaus. Sie sind mit einem Immobilienmakler aus Senlis verabredet. Kaum hatten sie die Agentur betreten, kamen sie auch schon wieder mit einem Typ in voller Montur heraus: Anzug, Schuhe, Haarschnitt, Aktenmappe unterm Arm und diese vertrauliche Miene des »Fachmanns und guten Kumpels« sind ein eindeutiges Zeichen seines Berufs. Ich bin ihnen gefolgt, doch wegen der kleinen StraÃen war das etwas komplizierter. Nach der zweiten Hausbesichtigung bin ich lieber wieder zurückgefahren. Sie kommen zu einem Haus, sehen es an, überlegen, gestikulieren wie Architekten, besichtigen es innen kürzer oder länger, kommen wieder heraus, schlendern mit zweifelnden Mienen über das Anwesen, stellen weitere Fragen und machen sich dann auf den Weg zur nächsten Besichtigung.
Sie suchen ein groÃes Haus. Offensichtlich haben sie die nötigen Mittel. Die Häuser, die sie sich angesehen haben, befinden sich alle auf dem platten Land oder am Rand eher trister Dörfer, stehen aber allesamt auf einem groÃen Grundstück.
Ich kann wohl nicht viel gegen ihre Lust auf Wochenenden auf dem Land unternehmen, doch im Moment hat das keinen Platz in dem Plan, den ich gerade auszuarbeiten beginne.
12. Oktober
An den Test-Mails, die Sophie an sich selbst schickt, sehe ich, dass sie stark an ihrem Gedächtnis zweifelt. Ich habe mir sogar erlaubt, ihren zweiten Test zu untergraben, indem ich die Uhrzeit verändert habe. Ich manipuliere die Daten nur gelegentlich; das ist viel fataler, denn es steckt keine nachvollziehbare Logik dahinter. Sophie weià es noch nicht, aber ihre Logik werde nach und nach ich sein.
22. Oktober
Heute Abend blieb ich am Fenster sitzen, um meine Täubchen aus dem Theater zurückkommen zu sehen. Sie kamen früh nach Hause â¦Â Sophie wirkte so besorgt wie auch wütend auf sich selbst. Vincent zieht ein Gesicht bis zum Südpol, als würde er sich ärgern, dass er eine solche Flasche geheiratet hat. Sicherlich hat sich vor dem Theater eine hübsche Szene abgespielt. Noch zwei, drei solche Dinger und man zweifelt wirklich an allem.
Ich frage mich, ob Sophie ihren alten Personalausweis schon in der Hand hatte und wie ihr zumute war, als sie im Badezimmer Vincents Geburtstagsgeschenk gefunden hat â¦
30. Oktober
Sophie geht es überhaupt nicht gut. Der Ton ihrer Mails an Valérie spricht Bände über ihren Gemütszustand. Es sind natürlich nur Kleinigkeiten, einen gröÃeren Vorfall könnte man sich vielleicht erklären und nachvollziehen, aber was hier passiert, ist so flüchtig, so unbedeutend â¦Â Allein die Häufung dieser Vorkommnisse beunruhigt sie. Vergessen â¦Â nein, das ist es nicht â¦Â Eine Pille verlieren? Sie doppelt nehmen, ohne es zu merken? Sinnlose Einkäufe tätigen oder vergessen, wo man den Wagen geparkt hat, nicht mehr wissen, wo man das Geburtstagsgeschenk für den Ehemann versteckt
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