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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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ganz genau – die Frisur von damals, die Kleider, die sie an jenem Tag getragen hat … Sie kommt immer zu demselben Schluss: Dieses Foto klebte auf ihrem Jahresabonnement von 2000, das in der Tasche steckte, die ihr ein Motorradfahrergestohlen hat, als er an der roten Ampel in der Rue du Commerce einfach die Beifahrertür aufgerissen hat.
    Frage: Wie konnte sie dieses Foto in einem Fach von Frantz’ Reisetasche finden? Frantz kann es gar nicht in Marianne Leblancs Sachen gefunden haben, denn dieses Foto war seit über drei Jahren verschwunden!
    Im Flurschrank hatte sie alte Turnschuhe gesucht, da glitt ihre Hand aus Versehen in das Fach von Frantz’ alter Reisetasche und kam mit dem Foto, drei Zentimeter im Quadrat, wieder heraus … Sie blickt auf die Wanduhr in der Küche. Jetzt ist es zu spät, um noch zu beginnen. Morgen. Morgen.
    Vom nächsten Tag an durchsucht Sophie vollkommen unauffällig die ganze Wohnung. Ständig überkommt sie ein schrecklicher Brechreiz: Da sie sich seit jenem Tag zwingt, die Medikamente zu erbrechen, die Frantz ihr gibt (dieses gegen die Migräne, jenes für den Schlaf, das da gegen die Angst, »das ist nicht schlimm, es ist rein pflanzlich …«), bekommt sie manchmal Schwindelanfälle, dann kann sie gerade noch rechtzeitig ins Bad oder auf die Toilette rennen. In ihrem Bauch scheint alles durcheinander zu sein. Trotzdem durchwühlt, durchforstet, durchsucht, untersucht sie die Wohnung von vorn bis hinten. Nichts. Nur das, aber das ist ja schon eine Menge …
    Und so kommen andere Fragen auf, ältere Fragen. Stundenlang, tagelang rennt Sophie Antworten hinterher, die ihr entwischen. Manchmal glüht sie richtiggehend, als wäre die Wahrheit eine Hitzequelle, an der sie sich ständig die Hände verbrennt, die sie aber nicht sehen kann.
    Und auf einmal kommt sie darauf. Es ist keine Offenbarung, eher eine Intuition, jäh wie ein Donnerschlag. Siestarrt auf ihr Handy, das auf dem Wohnzimmertisch liegt. Ganz ruhig klappt sie es auf und nimmt den Akku heraus. Mit der Spitze eines Küchenmessers schraubt sie eine zweite Platte auf und entdeckt eine winzige elektronische Wanze, orangefarben, die mit doppelseitigem Klebeband festgemacht ist und die sie geduldig mit einer Pinzette entfernt. Mit der Lupe kann sie einen Code erkennen, Buchstaben, Ziffern: SERV.0879, und weiter unten: AH68-(REV 2.4).
    Kurz darauf kommt sie über Google auf eine amerikanische Website für Elektronikbedarf, auf eine Site mit einem Katalog; neben der Referenz AH68 steht »GPS-Signal«.
    Â»Wo warst du?«, hat Frantz aufgebracht gefragt. »Vier Stunden, ist dir das eigentlich klar?«, sagte er immer wieder, als könne er es selbst nicht glauben.
    Vier Stunden …
    Das war vor zwei Tagen. Sophie hat das Haus verlassen, ist mit dem Bus die achtzehn Kilometer nach Villefranche gefahren, hat in einem Café etwas zu trinken bestellt und ihr Handy auf der Toilette versteckt, dann hat sie das Café gleich wieder verlassen und ist in das Panorama-Restaurant am Marktplatz von Villiers gegangen, wo man so einen herrlichen Blick auf die Stadt hat, auf die Straße und das Café, vor dem Frantz eine Stunde zuvor, sichtlich auf der Hut, aber nervös, zweimal hintereinander auf dem Motorrad vorbeigefahren ist und versucht hat, Sophie zu entdecken …
    Von allem, was Sophie ihrer Freundin letzte Nacht erzählt hat, bleibt das: Der Mann, den sie geheiratet hat, damit sie besser verschwinden kann, ist ihr Peiniger. Der Mann, an den sie sich jede Nacht schmiegt, der sich auf sie legt … Dieses Mal kann Valérie die Tränen nicht zurückhalten, still laufen sie in Sophies Haar.
    Monsieur Auverney, in einem blauen Overall und mit Arbeitshandschuhen, beizt sein Gartentor ab. Seit zwei Tagen verzeichnet Frantz jede Bewegung, jede Handbewegung dieses Mannes, aber da er keine Vergleichsmöglichkeiten hat, kann er nicht feststellen, ob er seine Gewohnheiten in irgendeiner Weise geändert hat. Frantz hat das Haus eingehend beobachtet und während Auverneys Abwesenheit nach dem kleinsten Lebenszeichen gesucht. Aber nichts regt sich. Zunächst einmal lebt dieser Mann allein. Frantz ist ihm verschiedentlich gefolgt. Patrick Auverney fährt einen großen, relativ neuen VW, graumetallic. Gestern hat er im Supermarkt eingekauft, dann getankt. Heute Morgen ist er zur Post gefahren, danach war er

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