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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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Stundenlang mit dem Fernglas ein Haus zu beobachten, wo nichts geschieht, untergräbt die Moral, der Zweifel findet am Ende immer einen Weg, und es hat vier Jahre Arbeit und Überzeugungskraft gebraucht, um ihn zu unterbinden.
    Am Ende des dritten Tages fährt Frantz kurz nach Hause. Er duscht, zieht sich um, schläft vier Stunden. Nutzt die Gelegenheit, einzupacken, was ihm fehlt – Thermoskanne, Fotoapparat, Daunenjacke, Schweizer Armeemesser und Ähnliches. Im Morgengrauen ist er wieder auf seinem Beobachtungsposten.
    Auverneys Haus ist ein längliches, zweistöckiges Gebäude, wie man es in dieser Gegend zuhauf findet. Auf der rechten Seite sind die Waschküche und ein Schuppen, wo er im Winter wahrscheinlich die Gartenmöbel lagert. Am linkenEnde, das sich direkt gegenüber Frantz’ Posten befindet, ist die Scheune, wo er den Wagen parkt und sein beeindruckendes Heimwerkermaterial aufbewahrt. Die Scheune ist so groß, dass sie Platz für zwei weitere Fahrzeuge bietet. Wenn er zu Hause ist und irgendwann den Wagen herausfahren will, lässt er das rechte Tor offen.
    Heute Morgen ist er im Anzug weggefahren. Er hat wohl einen Termin. Er hat die Scheune weit aufgemacht, das Sakko ausgezogen und einen kleinen Rasenmäher in den Garten gefahren, so ein fahrbares Gerät, mit dem man Golfplätze mäht. Es dürfte kaputt sein, denn er hat es gezogen und geschoben, dabei sieht dieses Ding so aus, als würde es Tonnen wiegen. Er hat einen Umschlag daraufgelegt. Sicherlich wird es im Laufe des Tages abgeholt. Nachdem beide Scheunentore offen standen, konnte sich Frantz alles ganz genau ansehen, hat auch Fotos gemacht: In der einen Hälfte der Scheune stehen gestapelte Kartons, Säcke mit Blumenerde, Koffer, die mit Klettverschlussbändern zugebunden sind. Auverney hat das Haus gegen neun Uhr verlassen. Er ist noch nicht wieder zurückgekommen. Nun ist es fast schon zwei Uhr. Nichts regt sich.
    Krankenblatt
    Sarah Berg, geborene Weiss, geb. am 22. Juli 1944
    Eltern nach Dachau deportiert und vergast, Datum unbe kannt
    Eheschließung mit Jonas Berg am 4. Dezember 1964
    Geburt des Sohnes Frantz am 13. August 1974
    1982: Diagnose bipolarer Störungen (mit melancholischen
    Angstzuständen) im Hospital L. Pasteur
    1985: Einweisung in die Clinique du Parc (Dr. Jean-Paul
    Roudier)
    1987/88: Clinique des Rosiers (Dr. Catherine Auverney)
    1989: Clinique Armand-Brussières (Dr. Catherine Auver-
    ney)
    4. Juni 1989: Nach einem Gespräch mit Dr. Auverney stürzt
    sich Sarah Berg im Hochzeitskleid aus dem Fenster der
    5. Etage. Exitus.
    Selbst wenn man aus Stein ist – das Warten macht jeden fertig. Nun ist Sophie schon drei ganze Tage verschwunden … Auverney kam gegen 16 Uhr 30 zurück. Er hat einen Blick auf den Rasenmäher geworfen und mit schicksalsergebener Miene den Umschlag wieder an sich genommen, den er dort deponiert hatte, bevor er weggefahren war.
    Genau in diesem Moment klingelte Frantz’ Handy.
    Erst herrschte lange Schweigen. Er sagte: »Marianne?« Er hörte jemanden weinen. Er wiederholte: »Marianne? Bist du das?«
    Dieses Mal gab es keinen Zweifel mehr. Schluchzend sagte sie: »Frantz … wo bist du?«
    Sie bat: »Komm schnell!«
    Dann sagte sie immer wieder: »Wo bist du?«, als erwarte sie darauf keine Antwort.
    Â»Ich bin da«, begann Frantz.
    Â»Ich bin zurückgekommen«, fuhr sie dann heiser, erschöpft fort. »Ich bin zu Hause.«
    Â»Rühr dich nicht von der Stelle … Keine Sorge, ich bin da, ich komme ganz schnell zu dir.«
    Â»Frantz, ich flehe dich an, komm schnell!«
    Â»Ich bin in … etwas mehr als zwei Stunden bei dir. Ich lasse mein Handy an. Ich bin da, Marianne, du musst keine
    Angst mehr haben. Wenn du Angst hast, dann rufst du mich an, ja?«
    Und weil sie nicht antwortete: »Ja?« Schweigen, dann sagte sie: »Komm schnell!« Und sie fing wieder an zu weinen.
    Er hat aufgelegt. Er ist ungemein erleichtert. Seit über drei Tagen hat sie ihre Medikamente nicht genommen, aber an ihrer Stimme hört er, dass sie angegriffen und kraftlos ist. Zum Glück scheint sie durch diese Flucht nicht wieder zu Kräften gekommen zu sein, und sein Werk hat offenbar keinen Schaden genommen. Trotzdem muss er weiterhin vorsichtig sein. Er muss wissen, wo sie gewesen ist. Frantz ist bereits am Tor. Er klettert darüber und

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