Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
war.
»Guter Gott«, keuchte Lorna, »das ist Alasdair.« Sie ging in die Hocke und betrachtete die Bilder eines nach dem anderen.
»Ich hab mir vorgestellt, wie er allmählich älter wird«, sagte Alicia leise.
Ein blonder Mann mit traurigen Augen. Ein leidender Mann, auch wenn die Künstlerin auf einigen der Bilder ein Lächeln auf sein Gesicht gezaubert hatte. Und nicht die geringste Ähnlichkeit mit Chris Mackie.
»Du hast mir nie davon erzählt«, sagte Lorna und hob eines der Gemälde hoch, um es genau zu studieren. Mit einem Finger berührte sie zärtlich die Wangenknochen des Mannes.
»Du wärst ohnehin nur eifersüchtig gewesen«, sagte ihre Mutter. »Auch wenn du es natürlich nicht zugibst.« Sie sah Rebus an. »Alasdair war mein Liebling, wissen Sie. Und als er weggegangen ist…« Sie betrachtete ihre eigenen Arbeiten. »Vielleicht habe ich versucht, mir das alles auf diese Weise selbst zu erklären.« Als sie sich wieder umdrehte, sah sie, dass Siobhan noch immer die Fotos in der Hand hielt. »Darf ich?« Sie nahm die Bilder und inspizierte sie aus nächster Nähe.
Plötzlich ein Leuchten in ihren Augen. »Wo ist er?«
»Kennen Sie ihn?«, fragte Siobhan.
»Ich muss unbedingt wissen, wo er ist.«
Lorna hatte das Porträt wieder zu Boden gestellt. »Er hat sich umgebracht, Mutter. Der obdachlose Millionär.«
»Wer ist er, Mrs. Grieve?«, fragte Rebus.
Alicia sah die Fotos mit zitternden Händen abermals durch. »Wie oft habe ich mir gewünscht, mal mit ihm zu sprechen.« Sie wischte sich mit dem Handrücken Tränen aus den Augen. Rebus stand jetzt direkt vor ihr.
»Wer ist der Mann, Alicia? Wer ist der Mann auf den Fotos?«
Sie sah ihn an. »Er heißt Frederick Hastings.«
»Freddy?« Lorna kam jetzt näher und nahm ihrer Mutter das Polizeifoto aus der Hand.
»Und?«, sagte Rebus.
»Könnte tatsächlich stimmen. Ist schon zwanzig Jahre her, seit ich ihn zuletzt gesehen habe.«
»Aber wer war er?«, fragte Siobhan.
Plötzlich fiel es Rebus wie Schuppen von den Augen. »Alasdairs Geschäftspartner?«
Lorna nickte.
Rebus sah Siobhan an. Sie war etwas verwirrt.
»Und Sie sagen, dass er tot ist?«, fragte Alicia. Rebus nickte. »Bestimmt hätte er gewusst, wo Alasdair ist. Die beiden waren unzertrennlich. Vielleicht hat er ja irgendwo Alasdairs Adresse verwahrt.«
Lorna betrachtete gerade die anderen Fotos, auf denen »Chris Mackie« in dem Asyl zu sehen war. »Freddy Hastings ein Penner.« Sie brach in schallendes Gelächter aus.
»Ich glaube nicht, dass es eine solche Adresse gibt«, sagte Siobhan zu Alicia Grieve. »Ich habe seine Sachen schon x-mal durchgesehen.«
»Ich finde, wir sollten jetzt besser wieder ins Haus gehen«, verkündete Rebus. Plötzlich schwirrten ihm tausend Fragen durch den Kopf.
Lorna kochte noch eine Kanne Tee. Für sich selbst allerdings machte sie einen Drink: halb Whisky, halb Quellwasser. Rebus lehnte einen harten Drink dankend ab. Als sie den ersten Schluck nahm, ruhten ihre Augen auf ihm.
Siobhan hatte ihr Notizbuch auf dem Schoß und hielt einen Stift in der Hand.
Lorna atmete so tief aus, dass Rebus das Whisky-Aroma noch zwei Meter entfernt riechen konnte. »Wir waren immer der Meinung, dass sie zusammen abgehauen sind«, erklärte sie dann.
»Was für ein Quatsch«, unterbrach ihre Mutter sie.
»Na gut, du wolltest ja nicht glauben, dass sie schwul sind.«
»Dann sind die beiden also zur selben Zeit verschwunden?«, fragte Siobhan.
»Das war jedenfalls unser Eindruck. Nachdem wir Alasdair damals ein paar Tage nicht mehr erreichen konnten, haben wir versucht, Freddy zu kontaktieren. Doch der war einfach weg.«
»Hat jemand ihn als vermisst gemeldet?«
Lorna zuckte mit den Achseln. »Ich jedenfalls nicht.«
»Und seine Familie?«
»Ich glaube, er hatte keine Angehörigen.« Sie sah ihre Mutter fragend an.
»Er war ein Einzelkind«, sagte Alicia. »Seine Eltern sind schon lange vor dieser Zeit beide innerhalb eines Jahres gestorben.«
»Deshalb hatte er etwas Geld, das er aber, so weit ich weiß, zum größten Teil verloren hat.«
»Sie haben beide Geld verloren«, verbesserte Alicia sie. »Deshalb ist Alasdair ja auch weggegangen, Inspektor. Er hatte Schulden und war zu stolz, um Hilfe zu bitten.«
»Aber nicht zu stolz, um abzuhauen«, konnte sich Lorna nicht verkneifen. Ihre Mutter sah sie böse an.
»Und wann ist das alles gewesen?«, fragte Rebus.
»Irgendwann '79.« Lorna sah ihre Mutter fragend an.
»Ungefähr Mitte
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