Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
Er hatte eine Sporttasche in der Hand. Vermutlich ging er in den Fitness-Club des Hauses. Linford wusste, dass es in dem Hotel eine solche Einrichtung gab. Hatte selbst schon mit dem Gedanken gespielt, dort Mitglied zu werden, doch dann war ihm der Beitrag zu hoch gewesen. Sein Hauptgedanke damals: ein Ort, wo man die hohen Tiere trifft, allerdings verdammt teuer.
Er saß da und wartete. Im Handschuhfach hatte er eine Flasche Mineralwasser, doch er durfte natürlich nichts trinken. Zu peinlich, wenn er Hutton verlieren würde, bloß weil er sich mal schnell erleichtern musste. Also essen. Sein Magen knurrte. Nur ein paar Schritte entfernt entdeckte er ein Café… Wieder durchwühlte er das Handschuhfach und brachte eine Packung Kaugummis zum Vorschein.
» Bon appetit », sagte er zu sich selbst, als er einen davon auswickelte.
Hutton blieb eine Stunde in dem Fitness-Club. Linford notierte sich die genaue Zeit, wie er es auch schon vorher gemacht hatte. Dann kam der Baulöwe allein wieder heraus. Sein Haar war noch nass vom Duschen, in der Hand schwenkte er wie vorhin schon seine Tasche. Der Mann war ganz erfüllt von jenem lässigen, strahlenden Selbstbewusstsein, das nach intensiver sportlicher Betätigung bei den Leuten um sich greift. Dann wieder ins Auto und ab Richtung Abbeyhill. Linford überprüfte sein Mobiltelefon. Die Batterie war leer. Er schloss es an den Zigarettenanzünder an. Er dachte daran, Rebus anzurufen. Doch was sollte er ihm eigentlich erzählen? Ihn um sein Placet bitten? Ja, ist schon okay, wie Sie das machen. Weiter so. Nein, diese Blöße wollte er sich nicht geben.
Die beiden Autos fuhren jetzt auf der Easter Road dahin. Hutton telefonierte. Ständig hatte er sein Handy am Ohr und sah fast nie in den Rück-oder Seitenspiegel. Aber Linford war ohnehin drei Autos hinter ihm. Also keine große Gefahr.
Dann waren sie plötzlich in Leith und fuhren durch gesichtslose Nebenstraßen. Linford ließ sich zurückfallen und hoffte, dass ihn jemand überholen würde. Weit und breit kein anderes Auto, nur Hutton und er. Die Straßen wurden jetzt immer enger. Auf beiden Seiten Häuser, deren Eingangstüren direkt auf die Straße hinausgingen. Kinderspielplätze, Glasscherben, die im Scheinwerferlicht funkelten. Dunst. Plötzlich hielt Hutton auf dem Seitenstreifen an. Nach Linfords Empfinden konnte der Hafen nicht mehr weit sein. Allerdings kannte er diesen Teil der Stadt überhaupt nicht, mied die Gegend nach Möglichkeit: zu viel kriminelle Energie. Waffenhandel. Alkoholismus und häusliche Gewalt. Und die Leidtragenden waren meistens »Freunde« oder Angehörige.
Huttons Auto stand vor einer der ortsüblichen Schlägerkneipen: ein winziges Lokal mit verhängten Fenstern und einer stabilen Tür. Auf den ersten Blick war gar nicht zu erkennen, dass der Laden geöffnet hatte. Doch Hutton wusste es anscheinend besser. Er stieß die Tür auf und ging direkt hinein. Seine Sporttasche lag auf dem Beifahrersitz, die Einkaufstaschen auf dem Rücksitz. Jeder Passant konnte das Zeug sehen.
Blödheit oder Selbstgewissheit. Linford entschied sich für die zweite Option. Er musste an die Kneipe in Leith in dem Film Trainspotting denken – an den amerikanischen Touristen, der sich nach der Toilette erkundigt, und die schrägen Typen, die hinter ihm hergehen und die Beute anschließend unter sich aufteilen. Genau dieselbe Art von Kneipe. Nicht mal einen Namen hatte das Lokal – vorne nur ein Brauereischild mit der Aufschrift »Tennent's Lager«. Linford sah auf die Uhr und machte sich ein paar Notizen. Alles wie im Lehrbuch. Er hörte sein Telefon ab. Keine Nachrichten. Er wusste, dass sein Sin-gle-Club abends was unternehmen wollte, und zwar um neun. Allerdings war er sich nicht darüber im Klaren, ob er hingehen sollte oder nicht. Und wenn er dort wieder auf Siobhan traf? Den Vergewaltigungsfall bearbeitete sie zwar nicht mehr, aber man konnte nie wissen. Niemand hatte ihn bisher auf den Abend in der Disco angesprochen, als er Siobhan kennen gelernt hatte. Also hatte sie offenbar Wort gehalten und niemandem was erzählt. Ausgesprochen nett von ihr, besonders angesichts … Natürlich hatte sie ihn in der Hand, aber bisher hatte sie diesen Vorteil nicht genutzt.
Andererseits: Was hatte er denn schon Schlimmes getan? Wie ein verliebter Teenager vor ihrer Wohnung herumgehangen. Nicht gerade ein heimtückisches Verbrechen. Außerdem nur dreimal. Selbst wenn Rebus ihn nicht entdeckt hätte… sicher hätte er
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