Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
Schließlich entschied er sich für Lorimer. Der Verdächtige wurde daraufhin in die Zelle zurückgeführt, und die übrigen Männer – vorwiegend Studenten – konnten sich bis zu ihrem zweiten Auftritt an Tee und Gebäck laben.
»Die Jungs spielen größtenteils in einem Rugby-Team«, erklärte Hogan. »Immer wenn ich ein paar kräftige Kerle brauche, rufe ich dort an. Viele sind Medizin- oder Jurastudenten.«
Aber Rebus hörte nicht richtig zu. Er stand mit Hogan draußen vor der Eingangstür des Reviers und rauchte eine Zigarette. Plötzlich fuhr ein Krankenwagen vor. Ein Sanitäter öffnete die hinteren Türen. Dann wurde eine Hebevorrichtung heruntergelassen, und Derek Linford kam zum Vorschein. Sein blau-rot-grün verfärbtes Gesicht war noch immer stark angeschwollen und sein Kopf bandagiert. Um den Hals trug er eine Krause. Er saß in einem Rollstuhl. Als der Sanitäter ihn jetzt Richtung Eingang schob, sah Rebus, dass Linfords Kiefer mit einem Drahtgestell stabilisiert war. An seinen Pupillen war zu erkennen, dass er unter Schmerzmitteln stand. Als er Rebus erblickte, wich die Abwesenheit plötzlich aus seinem Blick, und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Rebus schüttelte langsam den Kopf. Er wollte dem Mann sein Mitgefühl bekunden, ihm zugleich aber auch zu verstehen geben, dass er mit der Attacke nichts zu tun hatte. Linford wich seinem Blick aus, bemühte sich aber um eine gewisse Würde, als der Rollstuhl jetzt umgedreht wurde, damit die Sanitäter ihn leichter die Stufen hinauftragen konnten.
Hogan schnippste seine Zigarette direkt vor dem Krankenwagen auf die Straße. »Also willst du dich aus der Sache raushalten?«, fragte er. Rebus nickte.
»Halte ich für besser.«
Er rauchte noch zwei weitere Zigaretten, dann tauchte Hogan wieder auf.
»Hm«, sagte er. »Linford hat Lorimer ebenfalls wieder erkannt.«
»Kann er sprechen?«
Hogan schüttelte den Kopf. »Der Mann hat den ganzen Mund voll mit Drähten. Hat nur genickt, als ich ihm die Nummer gezeigt habe.«
»Und was sagt Lorimers Anwalt?«
»Nicht gerade zu beneiden, der Mann. Hat nur gefragt, welche Medikamente Linford bekommt.«
»Und – reichen diese beiden Aussagen deiner Meinung nach aus, um Lorimer erst mal einzusperren?«
»Ja, glaube ich schon. Zunächst mal wegen Körperverletzung.«
»Und wie lange kommen wir damit durch?«
Hogan blies die Backen auf. »Also, unter uns gesagt – nicht sehr lange. Dieser Lorimer bestreitet ja gar nicht, dass er der Mann ist, den Linford observiert hat. Das Problem ist nur, dass mit der Geschichte noch ein paar andere unangenehme Sachen verbunden sind.«
»Unerlaubte Observierung.«
Hogan nickte. »Wäre für die Verteidigung vor Gericht ein gefundenes Fressen. Ich spreche noch mal mit seiner Freundin. Vielleicht ist sie ja wütend auf ihn…«
»Die hält dicht«, sagte Rebus mit Bestimmtheit. »Die halten immer dicht.«
Siobhan Clarke stattete Derek Linford im Krankenhaus einen Besuch ab. Linford saß halb aufrecht im Bett – mit vier Kissen im Rücken. Neben ihm ein Krug Wasser und ein Revolverblatt.
»Ich hab ein paar Illustrierte mitgebracht«, sagte sie. »Aber natürlich weiß ich nicht genau, was Sie interessiert.« Sie legte die Plastiktüte auf das Bett und setzte sich neben Linford auf einen Stuhl. »Ich hab gehört, dass Sie noch nicht wieder sprechen können. Aber ich wollte trotzdem mal vorbeischauen.« Sie lächelte. »Wie es Ihnen geht, brauche ich wohl gar nicht erst zu fragen. Vielmehr wollte ich Ihnen sagen, dass es nicht Johns Schuld ist. Er würde so etwas niemals tun… und auch nicht zulassen, dass jemandem so etwas widerfährt. Dazu ist er viel zu anständig.« Sie wich seinem Blick aus. Ihre Finger spielten mit der Plastiktüte. »Was zwischen uns passiert ist… zwischen Ihnen und mir… das war mein Fehler, so viel habe ich inzwischen begriffen. Ich meine, jedenfalls nicht weniger mein Fehler als Ihrer. Trotzdem ist niemandem damit geholfen, wenn Sie jetzt…« Sie blickte ihn an, sah die Wut und das Misstrauen in seinen Augen.
»Wenn Sie…« Plötzlich wusste sie nicht mehr weiter. Sie hatte vorher eine kleine Rede einstudiert, doch jetzt überkam sie das Gefühl, dass er sich ohnehin nicht überzeugen lassen wollte.
»Für diese schlimme Sache verantwortlich ist ausschließlich derjenige, der Ihnen das angetan hat.« Wieder sah sie ihn kurz an und senkte dann den Blick. »Manchmal frage ich mich, ob der Hass, den Sie in sich tragen,
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