Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
Irgendwer konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen: »Diese ganze Geschichte wird sich für unseren Freund bestimmt noch auszahlen.« Und tatsächlich sah es ganz danach aus, als ob Linford demnächst mit einer Beförderung rechnen konnte. Unterdessen spielte Alasdair Grieve den Touristen. Er wohnte in einer Pension in der Minto Street. Vorerst brauchten sie ihn noch. Deshalb durfte er das Land nicht verlassen. Er hatte seinen Pass abgegeben und musste jeden Tag in der St. Leonard's Street vorstellig werden. Hauptkommissar Watson war der Auffassung, dass Grieve im strafrechtlichen Sinne nichts vorzuwerfen sei. Aber da der Mann eine tätliche Auseinandersetzung mit Todesfolge mit eigenen Augen gesehen hatte, musste natürlich eine Akte über ihn angelegt werden. Rebus hatte mit Grieve inoffiziell vereinbart: Wenn Sie sich brav zu unserer Verfügung halten, wird Ihre Familie von Ihrer Anwesenheit nichts erfahren.
Das Team ging nochmals alles durch, was man bis dahin zusammengetragen hatte. Aber nicht nur die Kollegen, die den Roddy-Grieve-Fall bearbeiteten, machten Überstunden, auch Siobhan und Wylie und Hood waren ständig im Büro, wobei Wylie auf einem Schreibtisch am Fenster bestand. Nur eine kleine Kompensation für all die Stunden, die sie in dem dunklen Vernehmungszimmer verbracht hatte, wie sie nicht müde wurde zu betonen.
Aber auch die anderen Dienststellen waren plötzlich wesentlich kooperativer als zuvor: vor allem die Schottische Kripo und die Zentrale. Als man alle nötigen Beweismittel zusammengetragen hatte, schaltete man einen Arzt ein und setzte den Verdächtigen davon in Kenntnis, dass es ihm freigestellt sei, sich bei der Vernehmung von einem Anwalt beraten zu lassen. Natürlich wusste der Mann längst, dass die Polizei gegen ihn ermittelte. Trotz seines heiklen Gesundheitszustands hatte er von seinen politischen Freunden gewiss schon diskrete Hinweise erhalten. Wieder versuchte Carswell, Rebus die Ermittlungen aus der Hand zu reißen, wieder wurde er überstimmt, wenn auch nur knapp.
Als Rebus und Siobhan vor dem von einer Mauer eingefassten Haus in der Queensferry Road eintrafen, standen drei Autos in der Einfahrt: Der Arzt und der Anwalt waren schon da. Ein großes Haus aus den Dreißigern, allerdings an der verkehrsreichen Straße, die aus der Stadt nach Fife hinausführte. Sicher eine Wertminderung von 50 Mille, aber trotzdem, das Haus musste mindestens dreihunderttausend wert sein. Nicht schlecht für einen einfachen Stadtrat.
Archie Ure lag im Bett, allerdings nicht in seinem Schlafzimmer. Um seiner Frau die Mühsal des Treppensteigens zu ersparen, hatte man im Wohnzimmer ein Einzelbett aufgestellt. Der Esstisch stand jetzt draußen im Eingangsbereich, die sechs Stühle ruhten mit der Sitzfläche nach unten auf seiner glänzenden Oberfläche. In dem Raum roch es irgendwie nach Krankheit: nach Schweiß und ungeputzten Zähnen. Der Patient richtete sich auf seinem Lager auf und atmete schwer. Die ärztliche Untersuchung war gerade abgeschlossen. Ure war an einen Monitor angeschlossen. Seine Pyjamajacke war aufgeknöpft, und auf seiner Brust waren Klebeelektroden befestigt, die durch schwarze Drähte mit dem Überwachungsgerät verbunden waren. Seine beinahe unbehaarte Brust sank bei jedem mühsamen Ausatmen wie ein angestochener Blasebalg in sich zusammen.
Ures Anwalt hieß Cameron Whyte, ein klein gewachsener, sorgfältig gepflegter Mensch, der nach Auskunft von Ures Ehefrau seit drei Jahrzehnten ein Freund der Familie war. Er saß auf einem Stuhl neben dem Bett. Auf den Knien hatte er eine Aktentasche, auf die er einen DIN-A4-Block gelegt hatte. Zuerst machten die Anwesenden sich miteinander bekannt. Rebus verzichtete zwar darauf, Archie Ure die Hand zu schütteln, erkundigte sich aber nach seinem Befinden.
»Ziemlich gut, bevor Sie auf die Idee gekommen sind, mich mit diesem Unsinn zu behelligen«, lautete die barsche Antwort.
»Wir versuchen es so schnell wie möglich hinter uns zu bringen«, sagte Rebus.
Ure brummte etwas in seinen Bart. Dann stellte Cameron Whyte ein paar Formfragen, während Rebus einen Kassettenrekorder aus einer der zwei Kisten hervorkramte, die er mitgebracht hatte. Ein ziemlich altmodisches Gerät, das die Vernehmung in doppelter Ausführung aufzeichnen und den genauen zeitlichen Ablauf dokumentieren konnte. Rebus besprach die Prozedur noch einmal mit Whyte, der genau hinsah, als Rebus das Datum und die Zeit einstellte und dann zwei nagelneue Bänder aus
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