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Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11

Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11

Titel: Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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zweihundert Piepen am Tag ein.« Er schüttelte langsam den Kopf. Dann erst sah er den befremdeten Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Was ist denn?«
    Sie inspizierte eingehend ihren Drink, einen großen Gin-To-nic. Er selbst hatte nur ein Glas Zitronensaft mit Soda vor sich. »Ach, nichts.«
    »Was hab ich denn gesagt?«
    »Na ja, wahrscheinlich…«
    »… wahrscheinlich sind Sie mit der Sache psychisch überfordert.«
    Sie sah ihn finster an. »Nein, das ist es nicht – mir gefällt einfach Ihre Einstellung nicht.«
    Sie saßen eine Weile schweigend da. Natürlich fiel das keinem der anderen Gäste auf. Schließlich war gerade Cocktail-Stunde: Anzüge aus der George Street; schwarze Kostüme mit passenden Strümpfen. Jeder war mit seiner eigenen kleinen Gruppe beschäftigt: Bürotratsch. Clarke nahm einen großen Schluck. Nie war genug Gin in diesen Drinks. Selbst wenn man einen Doppelten bestellte, kam der ersehnte Kick nicht. Zu Hause trank sie halb Gin halb Tonic. Und viel Eis. Und eine richtige Scheibe Zitrone und nicht so ein hauchdünnes Futzelchen – wie mit der Rasierklinge präpariert.
    »Ihr Akzent verändert sich«, sagte Linford schließlich. »Je nach Situation. Kein schlechter Trick.«
    »Was soll das heißen?«
    »Na ja, Sie haben doch eigentlich einen englischen Akzent.
    Aber in manchen Situationen, zum Beispiel auf dem Revier, klingen Sie fast wie eine Schottin.«
    Ja, damit hatte er Recht: Sie war sich dessen durchaus bewusst. Schon in der Schule und auf dem College hatte sie sich angepasst, weil sie nicht auffallen wollte. Früher hatte sie das sogar zwischendurch selbst bemerkt, inzwischen nicht mehr. Sie überlegte, warum sie sich so verhielt. War sie als junges Mädchen tatsächlich so verzweifelt, so einsam gewesen?
    Ja, vielleicht war es das.
    »Wo sind Sie eigentlich geboren?«
    »Liverpool«, sagte sie. »Meine Eltern waren dort an der Uni. Aber schon eine Woche nach meiner Geburt sind sie nach Edinburgh gezogen.«
    »Mitte der Siebziger?«
    »Ende der Sechziger – mit Schmeicheleien kommen Sie bei mir nicht weit.« Wenigstens brachte sie wieder ein Lächeln zustande. »Wir sind nur ein paar Jahre hier geblieben, dann war Nottingham an der Reihe. Dort hab ich den Großteil meiner Schulzeit verbracht und den Abschluss – den hab ich in London gemacht.«
    »Wohnen Ihre Eltern immer noch dort?«
    »Ja.«
    »Akademiker? Und was halten die von Ihrer Berufswahl?«
    Eigentlich eine vernünftige Frage, doch sie kannte ihn nicht gut genug, um darauf ehrlich zu antworten. Sie sprach nicht gerne über sich: Sie hatte beispielsweise ihre Kollegen auch stets in dem Glauben gelassen, dass ihre Wohnung in der Neustadt nur angemietet war. Irgendwann hatte sie sie dann verkauft und sich auf Raten ein neues Domizil zugelegt, das nur halb so groß war wie ihre frühere Bleibe. Das Geld aus dem Verkauf hatte sie einfach ohne weitere Erklärung auf das Konto ihrer Eltern überwiesen, die sich nur einmal – vergeblich – nach ihren Motiven erkundigt hatten.
    »Zum Studium bin ich dann wieder hierher gekommen«, sagte sie zu Linford, »und hab mich in die Stadt verliebt.«
    »… und sich ausgerechnet für einen Beruf entschieden, bei dem Sie es vor allem mit den Schattenseiten dieser schönen Fassade zu tun haben?«
    Auch diese Frage ließ sie unbeantwortet.
    »Dann sind Sie also eine Zugereiste – eine ›Neue Schottin‹, wie die Nationalisten sagen. Ich nehme mal an, dass Sie die Nationalisten sogar wählen, stimmt's?«
    »Oh, sind Sie SNP-Anhänger?«
    »Nein.« Er lachte. »Eigentlich wollte ich nur wissen, was Sie von denen halten.«
    »Ziemlich raffinierte Vernehmungstechnik?«
    Er zuckte mit den Achseln und leerte sein Glas. »Noch einen?«
    Noch immer musterte sie ihn kritisch, und plötzlich ging er ihr auf die Nerven. Die anderen Büromenschen in dem Raum kamen langsam in Stimmung und nahmen noch schnell ein paar Drinks, bevor sie nach Hause gingen. Wieso machten die Leute das nur? Wieso gingen sie nicht einfach nach Hause? Fernseher an und Beine hoch. Warum trieben sie sich nach Feierabend noch im Dunstkreis ihres Büros herum und gingen mit ihren Kollegen in die Kneipe? Fiel es ihnen so schwer, die Arbeit loszulassen? Oder empfanden sie ihr Heim gar nicht als die sprichwörtliche Zuflucht vor der Welt? Brauchten sie vielleicht einen Drink, bevor sie sich nach Hause trauten? Mussten sie sich Mut antrinken, um ihre so genannte Freizeit zu ertragen? Und saß auch sie selbst nicht aus ebendiesen

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