Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
Gründen hier?
»Ich glaube, ich muss jetzt gehen«, sagte sie unvermittelt. Ihre Jacke hing auf der Rücklehne ihres Stuhls. Erst vor ein paar Wochen war jemand direkt vor dem Lokal erstochen worden, in dem sie saßen. Sie hatte damals die Ermittlungen geführt. Was für ein Gewaltpotential, wie viel Sinnlosigkeit ringsum!
»Haben Sie heute noch was vor?« In seiner ganzen Ahnungslosigkeit, seinem Egoismus sah er sie erwartungsvoll-nervös an. Was sollte sie ihm nur antworten? Ich möchte noch ein bisschen Musik hören; mir noch einen Gin-Tonic genehmigen; einen Isla-Dewar-Roman zu Ende lesen. Tja, welcher Mann
konnte da schon mithalten?
»Wieso lächeln Sie?«
»Ach, gar nichts«, sagte sie.
»Sie lächeln doch nicht ohne Grund.«
»Eine Frau braucht ihre Geheimnisse, Derek.« Sie hatte die Jacke schon angezogen und wickelte sich den Schal um den Hals.
»Ich hatte eigentlich gedacht, wir gehen noch zusammen was essen«, platzte er heraus. »Machen uns einen schönen Abend.«
Sie sah ihn an. »Sieht nicht danach aus.« Sie hoffte, dass er die Botschaft zwischen den Zeilen richtig gedeutet hatte, und die lautete: Vergiss es – und zwar ein für alle Mal.
Dann ging sie.
Er bot ihr an, sie nach Hause zu begleiten, doch sie lehnte ab. Bot ihr an, ihr ein Taxi zu rufen, doch sie wohnte ja nur ein paar Schritte entfernt. Es war noch nicht mal halb acht, und plötzlich stand er ganz alleine da. Plötzlich erschien ihm der Lärm um ihn her ohrenbetäubend laut, unerträglich. Stimmen, Gelächter, Gläserklingen. Nicht mal nach dem Verlauf seines Tages hatte sie ihn gefragt, hatte überhaupt kaum etwas gesagt, es sei denn, er hatte nachgebohrt. Das Getränk, das vor ihm stand, erschien ihm plötzlich widerlich grell, abstoßend. Das Zeug klebte ihm im Mund, übersäuerte seinen Magen, zersetzte seine Zähne. Er ging an die Bar und orderte einen Whisky. Nein, kein Wasser. Als er sich umblickte, sah er, dass ein anderes Paar es sich bereits an seinem Tisch bequem gemacht hatte. Auch gut. An der Bar fiel er ohnehin weniger auf. Vielleicht glaubten die Leute ja, dass er zu einer der Bürocliquen gehörte, die sich beiderseits von ihm angeregt unterhielten. Aber natürlich gehörte er nicht dazu, und das wusste er nur zu gut. Er war hier ebenso ein Außenseiter wie in der St. Leonard's Street. Tja, das war nun mal die Konsequenz, wenn man so hart arbeitete wie er: Man kam zwar vorwärts, aber gehörte nirgends dazu. Die Kollegen gingen einem tunlichst aus dem Weg, und zwar weil sie entweder Angst hatten oder neidisch waren. Nachdem er dem SPP die Räumlichkeiten in der St. Leonard's Street gezeigt hatte, hatte der Mann ihn beiseite genommen.
»Sie leisten gute Arbeit, Derek«, hatte er gesagt. »Machen Sie so weiter. Könnte sich schon in ein paar Jahren auszahlen. Wenn Sie diesen Fall aufklären, ist vieles möglich.« Dann hatte ihm der SPP zugezwinkert und ihm den Arm getätschelt.
»Ja, Sir. Danke, Sir.«
Doch dann hatte sich der SPP bereits im Weggehen nochmals halb umgedreht und gesagt: »Was Ihnen allerdings noch fehlt, Derek, ist eine Familie. Das erwarten die Leute einfach von uns – sie möchten, dass wir genauso sind wie sie.«
Linford war hinterher direkt zum Telefon gegangen und hatte Siobhan angerufen…
Scheiß darauf. Er trat aus dem Lokal und nickte dem Türsteher zu, den er überhaupt nicht kannte. Hinaus auf die windgepeitschte Straße, in den beißend kalten Abend. Er spürte seine Lunge, als er die kalte Luft einatmete. Er brauchte sich nur nach links zu wenden, dann konnte er in zehn Minuten zu Hause sein. Ja, am besten, er ging nach Hause.
Doch dann bog er nach rechts ab und ging Richtung Queen Street. Ja, in der Barony Bar in der Broughton Street, dort gefiel es ihm. Gutes Bier, altmodisches Ambiente. In so einem Lokal fiel man nicht auf, selbst wenn man allein etwas trank.
Er brauchte nur ein paar Minuten, bis er das Haus fand, in dem Siobhan Clarke wohnte. Eine Adresse ausfindig zu machen, das war für einen Kripobeamten nun wirklich kein Problem. Bereits nach ihrem ersten gemeinsamen Abend hatte er sich am nächsten Morgen im Büro sofort die nötigen Informationen besorgt. Ihre Wohnung lag in einer ruhigen Straße mit viergeschossigen viktorianischen Mietshäusern. Zweiter Stock: ja, da wohnte sie. Zweiter Stock links. Er ging zu dem Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite hinüber. Die Eingangstür war nicht abgesperrt. Er stieg die Treppe bis in den zweiten Stock hinauf. Auf
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