Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
nach unserer übereinstimmenden Meinung hingehörte.«
»Und wie hat Miss Banks reagiert?«
»Anfangs wollte sie einen Detektiv engagieren. Aber das haben wir ihr ausgeredet. Das hätte die Sache nur aufgewertet. Außerdem hätten wir uns doch auf das Spiel eingelassen.«
»Und wer hat das Spiel angezettelt?«
»Derjenige, der das Gerücht in die Welt gesetzt hat.«
»Woher wissen Sie, dass es ein er war?«
»Eine Frage der Wahrscheinlichkeit, Inspektor Linford. In der Politik dominieren nun mal die Männer. Traurig, aber wahr.«
»Wenn ich recht informiert bin«, sagte Rebus, »haben auch zwei Frauen mit Ihrem Mann um die Kandidatur gekämpft.«
»Typisch Labour.«
»Kennen Sie einen der anderen Kandidaten?«
»Natürlich. Schließlich ist die Labour-Partei eine große glückliche Familie, Inspektor.«
Er lächelte, wie sie es von ihm erwartete. »Ich habe gehört, dass Archie Ure nicht besonders froh über das Ergebnis gewesen ist.«
»Na ja. Archie ist schon wesentlich länger in der Politik als Roddy. Offenbar hat er die Kandidatur für sein natürliches Recht gehalten.«
Auch Jo Banks hatte von einem »natürlichen Recht« gesprochen.
»Und die beiden weiblichen Bewerberinnen?«
»Jung und intelligent… die werden schon noch erreichen, was sie wollen.«
»Und wie geht das Verfahren jetzt weiter, Mrs. Grieve?«
»Weiter?« Sie starrte auf den Teppich. »Archie Ure hat nach Roddy die meisten Stimmen bekommen. Ich nehme mal an, dass sie ihn jetzt aufstellen.« Sie starrte noch immer auf den Teppich, als ob sie eine Botschaft darin lesen könnte.
Linford räusperte sich, sah Rebus an und gab ihm zu verstehen, dass das Gespräch aus seiner Sicht beendet war. Rebus zermarterte sich den Kopf nach einer brillanten Abschlussfrage
– doch ihm fiel beim besten Willen keine ein.
»Geben Sie mir nur meinen Mann zurück«, sagte Seona Grieve und geleitete sie in die Halle. Alicia stand dort am Fuß der Treppe und hielt eine Tasse in der Hand. In der Tasse lagen ein paar kleine Stücke Brot.
»Ich wollte doch irgendwas«, sagte sie zu ihrer Schwiegertochter. »Leider weiß ich nicht mehr, was.«
Als die beiden Polizisten ins Freie traten, führte Roddy Grieves Witwe gerade dessen Mutter wie ein hilfloses Kind die Stufen hinauf.
Dann standen sie neben dem Auto, und Rebus sagte zu Linford: »Sie können schon mal vorausfahren.«
»Was?«
»Ich bleibe noch etwas hier und spiele den guten Samariter.«
»Babysitten?« Linford stieg ein und startete den Motor. »Ich hab so das Gefühl, dass wir nicht die ganze Geschichte gehört haben.«
»Vielleicht kann ich mich ein bisschen mit der alten Dame unterhalten, wenn ich schon mal hier bin.«
»Sie wollen doch nicht etwa Oma-Abschleppen spielen?«
Rebus zwinkerte ihm zu. »Nicht jeder von uns hat eine junge
Dame, die sich in Sehnsucht nach ihm verzehrt.« Linfords Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Er legte den ersten Gang ein und fuhr los.
Rebus sah grinsend zu, wie Linford wegfuhr. »Gut gemacht, Siobhan – gut, dass du ihn richtig abgeschmettert hast.«
Er ging zurück zum Haus und läutete. Bot Seona Grieve an, zwanzig, dreißig Minuten auf Alicia aufzupassen. »Damit Sie schnell einkaufen fahren können.« Sie zögerte.
»Eigentlich brauche ich nur Milch und Zucker, Inspektor. Wahrscheinlich kommen wir mit unseren Vorräten sogar bis morgen über die Runden…«
»Ist doch egal. Jetzt bin ich schon mal da, und mein Fahrer ist sowieso weg.« Er zeigte auf den leeren Vorplatz. »Wollen Sie denn, dass Mrs. Grieve trockenes Brot isst?«
Er machte es sich im Wohnzimmer bequem. »Sie können sich gerne einen Tee oder Kaffee machen, falls Sie dazu keine Milch brauchen«, sagte Seona. »Aber nur zur Warnung – in der Küche sieht es aus wie nach einem Bombenangriff.«
»Kein Problem«, sagte er und fing an, in einer bereits sechs Monate alten Sonntagsbeilage zu blättern. Er hörte, wie die Tür zufiel. Offenbar war Seona einfach weggegangen, ohne ihrer Schwiegermutter Bescheid zu sagen. Etwa einen halben Kilometer entfernt gab es ein kleines Lädchen. Seona würde also schon bald zurück sein. Rebus wartete ein paar Minuten und ging dann die Treppe hinauf. Oben in der Schlafzimmertür stand Alicia Grieve. Obwohl sie noch angezogen war, hatte sie bereits einen Morgenmantel übergestreift.
»Oh«, sagte sie. »Ich dachte, ich hätte jemanden weggehen hören.«
»Ganz richtig, Mrs. Grieve. Seona ist mal schnell einkaufen
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