Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
Menge, berührte Arme und Schultern, bahnte sich einen Weg.
»So, so«, sagte sie, »was für eine Überraschung, Sie hier zu sehen.«
»Ja«, sagte er, »das ist wirklich 'ne Überraschung.« Sein Whiskyglas war inzwischen leer, und sie fragte, ob sie ihm einen spendieren dürfe. Er schüttelte den Kopf und hob sein Bierglas.
»Kann mich nicht erinnern, dass ich schon mal hier war«, sagte sie und lehnte sich gegen die Bar. »Hab gehört, dass der frühere Besitzer Frauen und Leute mit englischem Akzent grundsätzlich nicht bedient hat. Muss ja ein toller Typ gewesen sein.«
»War gewöhnungsbedürftig.«
»Solche Leute haben wir doch am liebsten, nicht wahr?« Sie sah ihn an. »Und über Sie habe ich auch so einiges gehört. Vielleicht spar ich mir in Zukunft sogar den Affen-Mann.«
»Und wieso das?«
»Weil ich das Gefühl habe, Sie lassen sich nicht so leicht zum Affen machen – nach allem, was ich über Sie gehört habe.«
Er lächelte. »Jägerlatein.«
»Hier, bitte, Lorna.« Gordon stand jetzt neben ihnen und spendierte Lorna einen weiteren Drink. Armagnac diesmal. Rebus sah zu, wie Margaret ein Bier zapfte. »Alle Achtung, John«, sagte Gordon. »Wusste gar nicht, dass Sie so berühmte Leute kennen.«
Lorna Grieve ließ das Kompliment unbeanstandet. Rebus schwieg.
»Wenn ich gewusst hätte, dass es in Edinburgh so hübsche Kerle gibt wie dich«, sagte Lorna zu Gordon, »wär ich nie aufs Land gezogen. Und auch diesen grimmigen alten Hugh Cordover hätte ich nicht geheiratet.«
»Nichts gegen High Cord«, sagte Gordon. »Ich hab Obscura mal als Vorgruppe von Barclay James Harvest in der Usher Hall gesehen.«
»Bist du da noch zur Schule gegangen?«
Gordon dachte kurz nach. »Ich glaub, ich war damals vierzehn.«
Lorna Grieve sah jetzt wieder Rebus an. »Tja, und wir sind inzwischen echte Dinosaurier, Sie und ich«, sagte sie.
»Das waren wir auch schon, als unser lieber Gordon noch in der Ursuppe unterwegs war«, stimmte er ihr zu.
Trotzdem hatte Lorna so gar nichts von einem Dinosaurier. Sie war in leuchtenden Farben gekleidet, hatte eine perfekt sitzende Frisur und war grandios geschminkt. Zwischen den zahllosen gedeckten Anzügen, die die Kneipe bevölkerten, wirkte sie wie ein Schmetterling in Gesellschaft flatternder grauer Motten.
»Und was machen Sie hier?«, fragte er.
»Trinken.«
»Sind Sie mit dem Wagen da?«
»Die Jungs von der Band haben mich mitgenommen.« Sie sah ihn an. »Ich bin nicht nur Ihretwegen hergekommen, falls Sie das meinen.«
»Tatsächlich nicht?«
»Heben Sie bloß nicht ab.« Sie wischte unsichtbare Fusseln von ihrem scharlachroten Jackett. Darunter trug sie eine orangene Seidenbluse, weiter unten eine ausgewaschene Jeans. Da
zu schwarze Wildledermokassins. Nicht ein Schmuckstück.
Nicht mal einen Ehering.
»Ich bin für alles Neue aufgeschlossen«, sagte sie, »das ist alles. Zur Zeit ist mein Leben so trostlos, dass ich selbst diesen Laden hier als Abwechslung empfinde«, sagte sie und blickte sich in der Kneipe um.
»Welche Tragik.«
Sie sah ihn zugleich amüsiert und skeptisch an. Gordon trat nervös von einem Fuß auf den anderen und verabschiedete sich dann fürs Erste. »Ich warte oben an dem Automaten auf Sie.« Sie nickte wenig überzeugend.
»Haben Sie den ganzen Tag getrunken?«, fragte er.
»Eifersüchtig?«
Er zuckte mit den Achseln. »Solche Tage kenn ich.« Er sah sie an. »Und wie finden Sie das Ox?«
Sie verzog die Nase. »Es ist wie Sie .«
»Ist das nun gut oder schlecht?«
»Weiß ich noch nicht.« Sie musterte ihn. »Sie haben so was Finsteres an sich.«
»Vielleicht zu viel Bier.«
»Nein, im Ernst. Schließlich kommen wir alle aus der Dunkelheit. Und nachts schlafen wir, um nicht mehr daran zu denken. Ich wette, Sie leiden unter Schlafstörungen.« Er schwieg. Sie wirkte jetzt etwas ruhiger. »Und eines Tages – wenn das Feuer der Sonne erlischt – kehren wir alle dorthin zurück.« Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »›Muss auch meine Seele sich dereinst ergeben, wird sie sich zu neuem Licht erheben.‹«
»Ein Gedicht?«, sagte er.
Sie nickte. »Den Rest hab ich vergessen.«
Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Zwei erwartungsvolle Gesichter: Grant Hood und Ellen Wylie. Hood sah aus, als ob er einen Drink vertragen könnte, aber er kam nicht herein. Wylie entdeckte Rebus und winkte ihm zu.
»Bin gleich wieder da«, sagte er zu Lorna Grieve und berührte ihren Arm, bevor er sich zwischen den anderen
Weitere Kostenlose Bücher