Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
sich bereits einen Drink im The Makings genehmigt und war wieder gegangen, bevor das studentische Abendpublikum dort aufkreuzte. Danach hatte er noch zwei weitere im Swany's gekippt und dort zufällig einen erst kürzlich pensionierten ehemaligen Kollegen getroffen.
»Sie sehen noch viel zu jung aus«, hatte Rebus stichelnd gesagt.
»Wir sind ungefähr gleich alt, John«, hatte der andere entgegnet.
Allerdings hatte Rebus noch keine dreißig Jahre abgedient. Er war erst als Mittzwanziger zur Polizei gestoßen. Noch zwei, drei Jahre, dann erwartete auch ihn die Ödnis des Ruhestands. Rebus spendierte dem Mann einen Drink und schlich dann in die Kälte des Winterabends hinaus. Scheinwerfer rasten in der Dunkelheit an ihm vorbei, und der kurz zuvor gefallene Regen fing allmählich an zu vereisen. Bis zu ihm nach Hause waren es fünfzehn Minuten zu gehen. Auf der anderen Straßenseite gab es eine Tankstelle. An einer der Tanksäulen stand ein Taxi.
Ja, der Ruhestand. Das Wort kreiste unaufhörlich in seinem Kopf. Mein Gott, was sollte er nur den ganzen Tag machen? Der eine freute sich auf die Pensionierung, dem anderen war sie ein Gräuel. Er dachte an Watson, winkte dann das Taxi heran und ließ sich zur Oxford Bar fahren.
Rebus' übliche Trinkgefährten Doc und Salty waren zwar nicht da, aber viele Gesichter, die er kannte. Die Bude war rappelvoll, schon im Vorraum traten sich die Leute auf die Füße. Im Fernsehen lief Fußball: irgendein Spiel aus dem Süden. Ein Stammgast namens Muir stand gleich neben der Tür und nickte ihm zu.
»Ihre Frau ist doch Galeristin?«, sagte Rebus. Muir nickte wieder. »Hat sie vielleicht schon mal was von Alicia Rankeillor verkauft?«
Muir lachte. »Schön wär's. Rankeillors Bilder bringen Zehntausende. Jede größere Stadt der westlichen Welt möchte etwas von ihr haben – vor allem aus den Vierziger- und Fünfzigerjahren. Selbst ihr druckgraphisches Werk bringt pro Blatt einen oder zwei Tausender.« Muir sah ihn an. »Wissen Sie zufällig jemanden, der verkaufen will?«
»Nein, aber wenn ich was höre, sag ich's Ihnen.«
Hinter der Bar waren schon die beiden Margarets in Aktion. Rebus bekam automatisch sein Bier hingestellt und orderte noch zusätzlich einen Whisky. In dem Hinterzimmer wurde offensichtlich musiziert: eine akustische Gitarre und die Stimme einer jungen Frau. Vor ihm stand jetzt sein Lieblingsduett: ein Bier und ein Schnaps. Er verlängerte den Whisky mit etwas Wasser. Dann ein großer gaumenbetörender Schluck. Eine der beiden Margarets legte währenddessen das Restgeld vor ihm auf die Theke.
»Da drüben wartet jemand auf Sie.«
Rebus legte die Stirn in Falten. »Wo – im Hinterzimmer?«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein, neben dem Zigarettenautomaten.«
Er drehte sich um und sah erst mal eine Mauer anderer Gäste vor sich. Der Automat befand sich gleich neben der Toilette in einem Alkoven, zu dem drei Stufen hinaufführten. Außerdem hing dort noch ein Spielautomat an der Wand. Doch er sah nur Männer, die ihm den Rücken zukehrten. Woraus er schloss, dass jemand dort oben ein Publikum haben musste.
»Und – um wen handelt es sich?«
Margaret zuckte mit den Achseln. »Hat bloß gesagt, dass sie Sie kennt.«
»Siobhan?«
Wieder ein Achselzucken. Er verrenkte seinen Hals. Gerade wurde eine neue Runde gebracht. Die Gestalten drehten sich halb zur Seite. Rebus kannte einige der Gesichter: Stammgäste. Und hinter ihnen an dem Spielautomaten lehnte ganz entspannt Lorna Grieve. Sie nahm gerade einen Schluck aus ihrem vollen Glas. Konnte nur unverdünnter Whisky sein oder Brandy, was sie da trank – mindestens ein Dreifacher. Jetzt leckte sie sich die Lippen. Dann trafen sich ihre Blicke, und sie hob lächelnd das Glas. Er lächelte zurück und hob ebenfalls das Glas. In dem Moment fiel ihm plötzlich wieder ein, wie er als Kind einmal von der Schule nach Hause gegangen war. An der Straßenecke gleich neben dem Kiosk hatte eine Gruppe älterer Jungen ein Mädchen aus seiner Klasse eingekreist. Er konnte nicht genau erkennen, was los war. Plötzlich sah er zwischen zwei Köpfen die Augen des Mädchens. Die Kleine schien weder besonders unglücklich noch glücklich mit der Situation…
Lorna Grieve berührte den Arm eines ihrer Verehrer und sagte etwas zu ihm. Der Mann hieß Gordon und stammte wie Rebus aus Fife. Hätte ohne weiteres ihr Sohn sein können.
Dann setzte sie sich in Bewegung, ging die Stufen hinab. Sie schob sich durch die
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