Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
ovalen Brillengläsern und dem gepflegten schwarzen Haar zeigte sich Kirkwall ganz von der weltmännischen Seite. Trotzdem war deutlich spürbar, dass er diese Rolle nur spielte. Wylie fühlte sich an einen dieser erfolgreichen Fußballer erinnert, die im Fernsehen als weltläufige Kommentatoren auftreten. Diese Leute waren zwar elegant gekleidet – nur eines fehlte ihnen: nämlich Stil.
»Leider haben wir nicht viel gefunden«, sagte Kirkwall und zog aus einer Schublade einen Plan hervor, den er so vor ihnen ausbreitete, dass sie ihn bequem lesen konnten. Die Ecken beschwerte er mit polierten Steinen. »Von jeder Baustelle, auf der wir tätig sind, nehme ich einen Stein mit, den ich reinigen und lackieren lasse«, erklärte er. Dann: »Was Sie hier sehen, ist Queensberry House. Die blau schattierten Zonen und die roten Linien markieren die Bereiche, in denen wir gearbeitet haben.«
»Sieht aus wie Außenarbeiten.«
»Ganz richtig. Fallrohre, Risse im Putz und außerdem ein Sommerhaus, das wir von A bis Z gebaut haben. So ist das nun mal bei öffentlichen Aufträgen. Jede Firma bekommt nur einen bestimmten Teil der Arbeiten.«
»Scheint so, als ob Sie die Herrschaften im Stadtrat nicht genug geschmiert hätten«, murmelte Hood.
Kirkwall warf ihm einen empörten Blick zu.
»Dann war also für die Innenarbeiten ein anderes Unternehmen zuständig?« Wylie studierte den Plan.
»Ob eines oder mehrere, weiß ich nicht. Das geht aus meinen Unterlagen nicht hervor. Wie gesagt: Da müssen Sie meinen Vater fragen.«
»Gute Idee, Mr. Kirkwall«, sagte Ellen Wylie.
Doch zuerst fuhren sie noch bei Valvona's vorbei, wo Wylie ein paar Einkäufe tätigte und dann fragte: »Essen wir noch 'ne Kleinigkeit?« Er sah umständlich auf die Uhr.
»Los, komm schon«, sagte sie. »Da drüben ist gerade ein freier Tisch. Das kann nur ein Zeichen des Himmels sein – bei dem Andrang.«
Sie aßen also Salat und Pizza und teilten sich eine Flasche Mineralwasser. An den Nachbartischen saßen andere Paare, die genau das Gleiche taten. Hood lächelte.
»Die Leute glotzen uns ja gar nicht an«, sagte er.
Sie betrachtete seinen Bauch. »Na ja, mich jedenfalls nicht.«
Er zog den Bauch ein und beschloss, auf das letzte Stück Pizza zu verzichten. »Du weißt doch, was ich meine«, sagte er.
Ja, das wusste sie. Da man es als Polizist ständig mit Leuten zu tun hatte, die ihrerseits ständig mit Polizisten zu tun hatten, konnte man leicht auf die Idee verfallen, dass jeder einen sofort als Bullen erkannte.
»Echter Schock, dass du nicht zu den Ausgestoßenen dieser Erde gehörst, was?«
Hood blickte auf seinen Teller. »Der größte Schock für mich ist eigentlich, dass ich etwas Essbares einfach auf dem Teller liegen lassen kann.«
Anschließend fuhren sie zu dem Haus, das Jack Kirkwall sich für seinen Ruhestand hatte erbauen lassen. Es lag am Rand von South Queensferry und bot einen Ausblick auf die beiden Brücken in der Ferne. Das Haus war betont geometrisch gestaltet und hatte riesige Fenster. Wylie fühlte sich an eine Kathedrale erinnert, und Hood stimmte ihr zu.
Schon bei der Begrüßung bläute Jack Kirkwall ihnen ein, dass sie unbedingt John Rebus von ihm grüßen sollten.
»Dann kennen Sie also Inspektor Rebus?«, fragte Wylie.
»Hat mir mal einen Gefallen getan«, kicherte Kirkwall.
»Möglich, dass Sie diese Gefälligkeit heute erwidern können, Sir«, sagte Hood. »Hängt davon ab, wie gut Ihr Gedächtnis ist.«
»Meinen Sie, ich leide schon unter Altersstumpfsinn?« brummte Kirkwall.
Wylie sah ihren Partner warnend an. »Detective Hood wollte eigentlich sagen, dass wir in dem Fall, in dem wir gerade ermitteln, völlig im Dunkeln tappen und dass Sie unsere einzige Hoffnung sind.«
Kirkwall war plötzlich ganz Ohr. Er ließ sich in einen Sessel sinken und bot ihnen ebenfalls einen Platz an.
Das cremefarbene Ledersofa roch brandneu. Der Raum war riesig groß, an den Wänden leuchteten zentimeterdicke Teppiche, und eine ganze Wand bestand ausschließlich aus Glastüren. Kirkwalls Vergangenheit kam in dem Zimmer allerdings nicht vor: weder Fotos noch Andenken oder alte Möbel. Das ganze Ambiente wirkte so, als ob er in fortgeschrittenen Jahren nochmals den Entschluss gefasst hatte, ganz von vorne anzufangen. Der vorherrschende Eindruck war Anonymität. Plötzlich ging Wylie ein Licht auf: Sie befanden sich gewissermaßen in einem Musterhaus. Etwaige Interessenten konnten hier in allen Einzelheiten die
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