Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
danke.«
Wieder schnaubte die Frau. »Für Witzchen bin ich hier zuständig.« Sie biss vorsichtig in den Burger und sprach dann mit vollem Mund.
»Ich glaube, ich hab nicht ganz verstanden«, sagte Clarke.
Die Frau schluckte. »Ob du 'ne Lesbe bist, hab ich gefragt. Schwule Männer treiben sich ja auch auf öffentlichen Toiletten rum.«
»Aber Sie sind doch auch hier?«
»Trotzdem bin ich keine Lesbe.« Sie nahm einen weiteren Bissen.
»Kennen Sie zufällig einen gewissen Mackie? Chris Mackie?«
»Und mit wem hab ich die Ehre?«
Clarke präsentierte ihren Dienstausweis. »Wussten Sie schon, dass Chris tot ist?«
Die Frau hörte auf zu kauen. Wollte schlucken, konnte nicht, fing an zu husten und spuckte den Brei in ihrem Mund auf den Boden. Dann ging sie zum Waschbecken hinüber und trank Wasser aus der hohlen Hand. Clarke stellte sich neben sie.
»Er ist von der North Bridge gesprungen. Ich nehme an, Sie haben ihn gekannt?«
Die Frau starrte in den mit Flüssigseife beschmierten Spiegel. Ihre dunklen, wissenden Augen waren wesentlich jünger und unverbrauchter als ihr Gesicht. Clarke schätzte die Frau auf Mitte dreißig, allerdings konnte sie an einem schlechten Tag
auch für fünfzig durchgehen.
»Jeder hat Mackie gekannt.«
»Aber nicht alle reagieren wie Sie.«
Die Frau hielt noch immer den Burger in der Hand. Sie sah ihn an, wollte ihn schon wegwerfen, wickelte ihn dann aber doch wieder ein und legte ihn auf eine ihrer Plastiktüten.
»Ja, weiß auch nicht, warum ich so überrascht war«, sagte sie. »Sterben doch jeden Tag irgendwelche Leute.«
»Aber Sie waren mit ihm befreundet, richtig?«
Die Frau sah Clarke an. »Spendierst du mir 'ne Tasse Tee?«
Clarke nickte.
Im ersten Café wurden sie abgewiesen. Auf Nachfrage erklärte der Geschäftsführer, die Frau habe bei ihm Lokalverbot, weil sie die Gäste angebettelt hatte. Ein Stück weiter gab es ein anderes Café.
»Da hab ich auch Lokalverbot«, sagte die Frau. Und so ging Clarke hinein und kam kurz darauf mit zwei Bechern Tee und ein paar klebrigen Krapfen zurück. Sie saßen auf dem Hunter Square, und die Fahrgäste auf dem Oberdeck der vorbeifahrenden Busse starrten sie an. Von Zeit zu Zeit fuchtelte die Frau mit der Hand in der Luft herum, um die Leute zu erschrecken.
»Tja, ist weit mit mir gekommen«, murmelte sie schließlich.
Clarke kannte inzwischen ihren Namen: Dezzi. Abkürzung für Desiderata. Aber das war auch nicht ihr richtiger Name. »Den hab ich zu Hause gelassen, als ich weg bin.«
»Und wann war das, Dezzi?«
»Keine Ahnung. Ist schon lange her.«
»Und – sind Sie seither die ganze Zeit in Edinburgh gewesen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Überall. Letzten Sommer saß ich plötzlich in einem Bus nach Wales. Keine Ahnung, wie das passiert ist. Haste mal 'ne Kippe?«
Clarke gab ihr eine. »Und wieso sind Sie von zu Hause weg?«
»Ganz schön neugierig.«
»Wie Sie meinen. Aber was ist nun mit Chris?«
»Ich hab ihn nur Mackie genannt.«
»Und wie hat er Sie genannt?«
»Dezzi.« Sie sah Clarke an. »Möchtest wohl meinen Nachna-
men wissen, was?« Clarke schüttelte den Kopf. »Ehrlich nicht.« »Na ja, ihr Bullen seid so ehrlich, wie der Tag lang ist.« »Da ist was Wahres dran.« »Nur dass die Tage um diese Jahreszeit verdammt kurz
sind.«
Clarke lachte. »Also gut, Sie haben gewonnen.« Sie wollte herausfinden, ob Dezzi wusste, was mit Mackie los gewesen war. Ob sie wusste, was in der Zeitung gestanden hatte? »Und was können Sie mir über Mackie sagen?«
»Ich war mal mit ihm zusammen – nur ein paar Wochen.« Plötzlich strahlte sie über das ganze Gesicht. »Richtig wilde Wochen waren das, verstehst du.«
»Wie wild?«
Ein schelmischer Blick. »So wild, dass sie uns eingebunkert haben. Mehr sag ich nicht.« Sie biss in ihren Krapfen, kaute, zog an ihrer Zigarette und biss wieder in den Krapfen.
»Hat er Ihnen was von sich erzählt?«
»Er ist doch tot. Ist doch egal.«
»Ist mir aber nicht egal. Was für einen Grund könnte er ge-
habt haben, sich umzubringen?« »Tja, warum bringt man sich um?« »Würde ich gerne von Ihnen erfahren.« Sie schlürfte ihren Tee. »Weil man am Ende ist.« »Sie meinen, das ist der Grund: War er wirklich am Ende?« »Ist doch 'n Scheißleben…« Dezzi schüttelte den Kopf. »Ich
hab mir mal die Pulsadern mit 'ner Scherbe aufgeschnitten. Acht Stiche.« Sie hielt Clarke das Handgelenk unter die Nase, doch die konnte keine Narben entdecken. »Aber ich glaube, so
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