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Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11

Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11

Titel: Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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merkwürdigen Artikeln über Kochrezepte, Kleider und Kinder beiseite legte.
    Eine Frauenzeitschrift mit Berichten über ihren Lieblingsfußballclub, über zerbrochene Beziehungen und Mordfälle, also über die Sachen, die sie eigentlich interessierten, die gab es offenbar nicht.
    Dr. Talbot war Mitte Fünfzig und lächelte ihr zur Begrüßung müde entgegen. Chris Mackies Patientenkarte lag schon vor ihm auf dem Schreibtisch. Zunächst ließ er sich jedoch Clarkes eigene Papiere zeigen – Totenschein, Dienstausweis –, bevor er sie aufforderte, mit ihrem Stuhl näher an den Schreibtisch heranzurücken.
    Erst nach ein paar Minuten begriff sie, dass die Aufzeichnungen nur bis 1980 zurückreichten. Bei seinem ersten Besuch in der Praxis hatte Mackie als letzte Adresse eine Anschrift in London angegeben und erklärt, dass er bisher bei einem Dr. Mason in Crouch End Patient gewesen sei. Allerdings war ein Brief, den Dr. Talbot an besagten Dr. Mason gerichtet hatte, mit dem Vermerk »Straße unbekannt« zurückgekommen.
    »Sind Sie der Sache nachgegangen?«
    »Ich bin Arzt und kein Polizist.«
    Mackies Edinburgher Wohnsitz war das Heim. Das Geburtsdatum in Talbots Unterlagen war nicht mit jenem identisch, das in Drews Kartei vermerkt war. Clarke hatte das mulmige Gefühl, dass Mackie von vornherein falsche Spuren gelegt hatte. Sie sah abermals die Patientenkarte durch. Im Durchschnitt hatte er Talbot etwa ein-oder zweimal jährlich aufgesucht, meist mit kleineren Beschwerden: eine entzündete Schnittwunde im Gesicht, Grippe, ein Furunkel, das aufgemacht werden musste.
    »In Anbetracht seiner Lebensumstände war er eigentlich ziemlich gesund«, sagte Dr. Talbot. »Ich glaube nicht, dass er getrunken oder geraucht hat, was die Dinge natürlich erleichtert.«
    »Drogen?«
Der Arzt schüttelte den Kopf.
»Ist das nicht ungewöhnlich bei einem Obdachlosen?«
»Na ja, die allerbeste Konstitution hatte Mr. Mackie natür-
    lich nicht.« »Ja, aber ich meine… dass ein Obdachloser weder trinkt
    noch Drogen nimmt…?« »Hm, das übersteigt eigentlich meine Kompetenz.« »Aber nach Ihrer Erfahrung…?« »Keine Ahnung – jedenfalls hat Mr. Mackie mir nur wenig
    Sorgen gemacht.« »Danke, Dr. Talbot.« Sie verließ die Praxis und fuhr direkt zum Sozialamt, wo eine
    Miss Stanley sie in eine trostlose Kabine führte, in der normalerweise Sozialhilfeempfänger abgefertigt wurden.
    »Sieht so aus, als hätte er anfangs keine Versicherungsnummer gehabt«, sagte sie und studierte die Akte. »Wir mussten ihm eine neue geben.«
    »Wann war das?« Natürlich war es 1980 gewesen: dem Jahr, als Christopher Mackie aus dem Nichts aufgetaucht war.
    »Ich war zu der Zeit noch nicht hier, aber der damalige Sachbearbeiter hat ein paar Notizen gemacht.« Miss Stanley las aus den Notizen vor: »›Ungepflegt, weiß nicht, wo er ist. Hat weder Versicherungs-noch Steuernummer.‹Als letzter Wohnsitz ist London angegeben.«
    Clarke schrieb sich Punkt für Punkt alles auf.
»Beantwortet das Ihre Fragen?«
»Ja, das hilft mir schon ein bisschen weiter«, sagte sie. Näher
    als in der Nacht, als »Chris Mackie« gestorben war, würde sie dem Mann wohl kaum kommen. Ja, seither hatte sie sich sogar immer weiter von ihm entfernt, weil er nämlich gar nicht existierte. Mackie war ein Phantom, das jemand ersonnen hatte, der offensichtlich etwas zu verbergen hatte.
    Mit wem sie es wirklich zu tun hatte, würde sie vielleicht nie erfahren.
    Mackie war nämlich verdammt clever gewesen. Jeder hatte ihr erzählt, dass er ein gepflegter Mann gewesen war, doch beim Sozialamt war er verwahrlost erschienen. Warum? Weil seine Geschichte auf diese Weise plausibler erschien: ein vergesslicher, desorientierter, hilfloser Mensch. Ein Typ, den jeder überlastete Sachbearbeiter möglichst schnell wieder los werden wollte. Keine Versicherungsnummer? Kein Problem, verpassen wir ihm halt eine neue. Ein vage Adresse in London? Auch gut. Am besten, man bestätigte ihm seinen Anspruch rasch durch eine Unterschrift, dann hatte man ihn wenigstens schnell vom Hals.
    Ein Anruf auf ihrem Handy beim Standesamt brachte die Bestätigung, dass an dem von ihr angegebenen Tag kein Christopher Mackie zur Welt gekommen war. Natürlich hätte sie es auch noch mit dem anderen Datum versuchen können, das sie erhalten hatte, oder vielleicht die Londoner Behörden einschalten … Aber sie wusste, dass sie ohnehin nur irgendwelchen Schatten hinterherjagte. Sie hockte sich in ein voll besetztes

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