Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
jetzt Wichtigeres zu tun«, hatte der Chef gesagt. Der Mann schien einem Schlaganfall nahe. »Penner, die sich umbringen, gibt es jeden Tag.«
»Aber nicht unter solchen Umständen, Sir«, wagte sie zu widersprechen.
»Das Geld begründet noch keinen besonderen Verdacht, Siobhan. Die Geschichte ist eines jener Geheimnisse, die nun mal im Leben vorkommen.«
»Ja, Sir.«
»Offenbar haben Sie zu lange zu eng mit John Rebus zusammengearbeitet.«
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Und das heißt?«
»Das heißt, Sie jagen wahrscheinlich einem Phantom hinterher.«
»Aber das Geld existiert doch. Mackie ist in die Filiale einer Bausparkasse marschiert und hat die gesamte Summe dort in bar auf den Tisch gelegt. Und dann lebt der Mann wie ein Asozialer. Ist doch äußerst merkwürdig.«
»Ein reicher Exzentriker. Manche Leute drehen halt durch, wenn sie zu viel Geld in die Hand bekommen.«
»Aber wieso hat er dann auch noch seine Vergangenheit vertuscht? Sieht doch aus, als ob er sich versteckt hätte.«
»Glauben Sie vielleicht, er hat das Geld gestohlen? Aber warum hat er es dann nicht ausgegeben?«
»Das ist eine weitere Frage, Sir.«
Er seufzte und kratzte sich an der Nase. »Noch ein paar Tage, Siobhan, okay?«
»Ja, Sir.«
»'n Abend allerseits.« John Rebus stand in der Tür.
Sie sah auf die Uhr. »Wie lange stehen Sie schon dort?«
»Und wie lange starren Sie schon die Wand an?«
Sie stand etwa in der Mitte des Büros. Schon seit etlichen
Minuten starrte sie auf die Fotos, die die Kollegen vorn Schauplatz des schrecklichen Verbrechens an Roddy Grieve gemacht hatten. »Ich habe nur geträumt. Und was machen Sie hier?«
»Dasselbe wie Sie – arbeiten.« Er trat in den Raum und lehnte sich mit verschränkten Armen an einen der Schreibtische.
Sie haben zu lange zu eng mit John Rebus zusammengearbeitet.
«Und wie weit sind Sie mit den Ermittlungen im Fall Grieve?«, fragte sie. Er zuckte mit den Achseln. »Eigentlich müssten Sie doch zu
erst fragen: ›Wie geht es Derek?‹« Sie drehte den Kopf zur Seite und errötete leicht. »Tut mir Leid«, sagte er. »Das war selbst für meine Verhält
nisse ziemlich daneben.« »Irgendwie komm ich mit ihm nicht zurecht«, sagte sie. »Geht mir genauso.« Sie sah ihn an. »Aber ist in dem Fall Derek das Problem oder
vielleicht Sie?«
Er spielte den getroffenen Mann, zwinkerte ihr dann aber lächelnd zu und ging durch den Mittelgang zwischen den Schreibtischen hindurch. »Hat der ganze Krempel hier mit Ihrem Fall zu tun?«, fragte er. Sie ging jetzt ebenfalls zu ihrem Schreibtisch hinüber. Whisky-Dunst lag in der Luft.
»Sie nennen ihn Supertramp.«
»Wer ist sie?«
»Die Medien.«
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Sie fragte ihn nach
dem Grund. »Supertramp: Hab ich mal live gesehen. In der Usher Hall,
wenn ich mich recht entsinne.« »Vor meiner Zeit.« »Und was ist mit Mr. Supertramp nun los?« »Hatte 'n Haufen Kohle, der Mann. Aber entweder konnte oder wollte er das Geld nicht ausgeben. Und 'ne neue Identität hat er sich auch zugelegt. Meine Theorie ist, dass er sich versteckt hat.«
»Vielleicht.« Er inspizierte die Sachen auf dem Schreibtisch. Sie stand mit verschränkten Armen da und sah ihn vorwurfsvoll an, was er einfach ignorierte. Er öffnete die Plastiktüte und schüttete den Inhalt heraus: Wegwerfrasierer, ein kümmerliches Stück Seife, eine Zahnbürste. »Ziemlich gut organisiert, der Typ«, sagte er. »Alles, was man für die Körperpflege braucht. Offenbar hat er Wert auf Sauberkeit gelegt.«
»Ja, scheint so, als ob er den Penner nur gespielt hat«, sagte sie. Ihm fiel der merkwürdige Klang ihrer Stimme auf, deshalb sah er sie an.
»Was ist los?«, fragte er.
»Nichts.« Sie brachte es einfach nicht fertig zu sagen: Das ist mein Fall.
Rebus betrachtete das Archivfoto. »Was hat er denn angestellt?« Sie erzählte es ihm und er lachte.
»Bis jetzt ist es mir gelungen, seine Spur bis 1980 zurückzuverfolgen. In dem Jahr taucht dieser Chris Mackie plötzlich aus dem Nichts auf.«
»Vielleicht sollten Sie sich mal mit Hood und Wylie kurzschließen. Die überprüfen nämlich gerade die Vermisstenanzeigen von '78 und '79.«
»Gute Idee.«
»Sie klingen müde. Wie wär's, wenn ich Sie zum Essen einlade?«
»Um dann beim Essen weiter über berufliche Dinge zu sprechen? Wirklich eine willkommene Abwechslung.«
»Gesprächsthemen fallen mir reichlich ein.«
»Nennen Sie mir drei.«
»Kneipen, progressive Rock-Musik
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