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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
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der Rentenbezüge. Daß das Konkurrenzverhältnis mit der DDR für Adenauer dabei eine wichtige Rolle spielte, unterstrich der Kanzler selbst: Die Bundesrepublik müsse «attraktiv bleiben» für die «Menschen in der Zone». 23 Tatsächlich waren in der DDR kurz zuvor die Renten ebenfalls aufgestockt worden. Auch in anderen sozialpolitischen Fragen blickte die Bundesrepublik in den fünfziger Jahren durchaus nach Osten, so etwa auch bei der Verbesserung des Arbeitsschutzes. 24 Diese zum Teil positiv wirkende Konkurrenz zwischen Ost und West in der Sozialpolitik überschritt ihren Höhepunkt allerdings bereits in den fünfziger Jahren. Über die restliche Dauer des Kalten Krieges war sie eher rückläufig. Zum einen war es nach dem Mauerbau 1961 nicht mehr so notwendig, sozialpolitische Attraktionen mit Blickrichtung auf die DDR zu entwickeln. Trotz aller sozialpolitischen Errungenschaften blieb die Mauer das schärfste Gegenargument gegen diese Art des Wohlfahrtsstaats. Die 1972 unter der sozialliberalen Koalition in der Bundesrepublik noch einmal in Angriff genommene großangelegte Erweiterung des Sozialstaats hatte ihre Ursachen dann bereits weniger in der Konkurrenz zum Osten. Hier spielten innenpolitische Gründe, unter anderem das Prestigedenken der Parteien untereinander, eine viel größere Rolle. 25
    In anderen westlichen Staaten hatten die nationalen Traditionen der Sozialpolitik und die innenpolitischen Notwendigkeiten ohnehin immer eine viel größere Bedeutung. Zu Recht läßt sich bezweifeln, ob man etwa die Verbesserungen in der amerikanischen Sozialpolitik der fünfziger Jahre überhaupt der Systemkonkurrenz zuschreiben kann. Weder besaß die amerikanische Linke wirkliche Macht, insbesondere nicht die Gewerkschaften und erst recht nicht die Kommunisten, noch stand etwa eine massenhafte Abwanderung von Amerikanern in den Ostblock zu befürchten. Trotzdem entwickelte sich aber auch hier der «Wohlfahrtskapitalismus» weiter, in dessen Rahmen Großkonzerne wie General Motors sogar freiwillig die Löhne erhöhten. Auch Eisenhower, der ansonsten nicht müde wurde, vor dem Sozialismus zu warnen, entschied sich am Ende der ersten vier Jahre seiner Regierungsverantwortung dafür, den Wohlfahrtsstaat durch die Novellierung des zwanzig Jahre alten, aus der «Roten Dekade» amerikanischer Sozialpolitik stammenden Social Security Act auszubauen. Ein eigenes Ministerium für Gesundheit, Erziehung und soziale Wohlfahrt entstand, die Mindestlöhne wurden angehoben und schließlich auch die Leistungen der Renten- und Arbeitslosenversicherung verbessert. Auch in den folgenden Jahrzehnten wurde der Wohlfahrtskapitalismus, zum Teil gegen massive konservative Widerstände, weiter ausgebaut. Erst in den achtziger Jahren kam es unter der konservativen Reagan-Administration wieder zu gravierenden Einschränkungen. 26 Die Gründe für diese Art des Ausbaus des Sozialstaats waren außer in einer Reihe nationaler Besonderheiten in den USA tatsächlich eher in der indirekten Wirkung des Kalten Krieges zu suchen. Weil der globale Konflikt, insbesondere die Rüstung, unglaubliche finanzielle Ressourcen verschlang, während soziale Probleme unkontrollierbar wuchsen, wurde die Erhöhung der staatlichen Fürsorge als Notwendigkeit erachtet, den innenpolitischen Konsens und den sozialen Frieden zu erhalten oder wiederherzustellen.
    Unabhängig davon, in welchem Ausmaß der Kalte Krieg den Ausbau der Sozialsysteme in den einzelnen Staaten jeweils beförderte, überforderte er langfristig schon während des Konflikts die Möglichkeiten in Ost und West. Nachdem die Grenze des bundesdeutschen Sozialstaatsmodells bereits 1974/75 durch die ökonomische Depression erreicht worden war, welche die Ölkrise 1973 ausgelöst hatte, begann man vor allem in den achtziger Jahren unter der konservativen CDU/FDP-Koalition, die Ausgaben für den Sozialstaat in Teilen zurückzufahren. Ob man dabei an propagandistische Nachteile im Ost-West-Konflikt dachte, ist eher zu bezweifeln. In den DDR-Medien spielten diese Kürzungen allerdings als Argument im Kalten Krieg eine wichtige Rolle, zumal man selbst eisern an der umfassenden Wohlfahrtsstaatsidee festhielt. Zum selben Zeitpunkt waren allerdings auch bereits die Finanzprobleme der DDR im Westen bekannt, und ironischerweise mußte die DDR 1983 einen Milliardenkredit bei westdeutschen Banken aufnehmen, der nicht zuletzt für die Aufrechtterhaltung ihres
    Sozialstaats verwendet wurde. 27 Ihre eisern bis zum

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