Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
Vom Netzwerk:
angloamerikanische Ölgesellschaften tätig. Als Gaddhafi im Mai 1970 demonstrativ seinen Ölminister zu Gesprächen mit der sowjetischen Führung nach Moskau schickte und gleichzeitig den Druck auf die westlichen Firmen erhöhte, Libyen zu verlassen, war im Westen bereits Alarmstimmung zu verzeichnen gewesen. Der ebenfalls von ihm ausgehende Versuch, auf der OPEC-Konferenz 1971 den Rohölpreis um dreißig Prozent anzuheben, scheiterte zwar zunächst. Die Wende gelang zwei Jahre später. Nach dem vierten von den arabischen Staaten verlorenen Nahostkrieg, dem sogenannten Jom-Kippur-Krieg 1973, konnte sich die OAPEC mit ihrer Forderung, über das Öl ihren politischen Protest zu dokumentieren, durchsetzen.
    Am Vorabend des jüdischen Feiertags Jom Kippur hatten ägyptische Streitkräfte am 6. Oktober 1973 die israelische Armee am Ostufer des Suezkanals angegriffen. Syrische Truppen waren gleichzeitig auf die israelisch besetzten Golan-Höhen vorgerückt. Knapp drei Wochen später war am 26. Oktober der Krieg bereits wieder durch einen Waffenstillstand beendet, nachdem Israel sich wieder erfolgreich gegen den Angriff hatte zur Wehr setzen können. Schon die relativ begrenzten Kampfhandlungen wirkten sich jedoch auf die internationale Rohölversorgung aus, da die israelische Luftwaffe gezielt Banias, die syrische Verladestation für das irakische Öl aus Kirkuk, lahmgelegt hatte und kurz darauf auch amerikanische Gesellschaften vorsorglich ihre Produktion drosselten, um eventuellen Schäden vorzubeugen. Zehn Tage nach dem Beginn des Jom-Kippur-Rrieges traf die OPEC den ersten Beschluß, den Rohölpreis zu erhöhen. Den arabischen Mitgliedern ging die moderate Anhebung von drei auf fünf Dollar pro Barrel als politisches Signal an den Westen für dessen Unterstützung Israels jedoch nicht weit genug. Auf der Ministerkonferenz der OAPEC konnten sie sich am 5. November 1973 zum ersten Mal auf eine «Solidaritätsaktion» einigen: eine generelle Drosselung der Ölproduktion um 25 Prozent. Wenige Wochen später folgte nach einem OAPEC-Treffen in Teheran am 22. Dezember eine weitere Verdoppelung des Rohölpreises. US-Sicherheitsberater Kissin-ger sah dies später als eine «der wichtigsten Entscheidungen in der Geschichte unseres Jahrhunderts». Es sei bis dahin noch niemals vorgekommen, «daß eine Gruppe von relativ so schwachen Nationen [...] dramatische Veränderungen dieses Ausmaßes im Leben der überwältigenden Mehrheit der übrigen Weltbevölkerung hat erzwingen können». 58
    Dieser «Ölboykott» wirkte sich auf die gesamte westliche Wirtschaft aus und wuchs sich hier zu einer umfassenden Weltwirtschaftskrise aus, die ihre Folgen insbesondere auch auf innenpolitisch-psychologischem Gebiet zeigte. Die Ursachen lagen nicht allein im Ölpreis. Eine wichtige Rolle spielte unter anderem auch der sich zum gleichen Zeitpunkt vollziehende Zusammenbruch des internationalen Währungssystems durch die anhaltende Schwäche des US-Dollars. Deren Grund wiederum war in der inflationären Finanzierung des Vietnamkriegs zu finden. Das in der Formierungsphase des Kalten Krieges aufgebaute System von Bretton Woods, das seit 1944 auf der Stabilität der US-Währung gründete, war damit gescheitert, und ein Ersatz war nicht in Sicht. Was sich aus wirtschaftspolitischer Perspektive als «Grenzen des Wachstums» zeigte, wie es bereits 1972 ein Bericht des internationalen Expertengremiums Club of Rome zusammengefaßt hatte, präsentierte sich auch als Zeichen für Probleme, «die sich nicht kurzerhand über den ökonomischen Leisten schlagen ließen», wie der westdeutsche Schriftsteller Günter Grass formulierte. 59 Wesentlich war vor allem die Zunahme von Zukunfts- und Existenzängsten.
    Äußeres Zeichen der (ersten) «Ölkrise» waren in der Bundesrepublik nicht nur die Sonntagsfahrverbote, als Spaziergänger und Fahrradfahrer auf den kraftfahrzeugfreien Autobahnen zu sehen waren. Viel dramatischer waren der Einbruch des Bruttosozialprodukts um 1,5 Prozent und schließlich ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, die 1975 auf die damals als ungeheuerlich angesehene Zahl von einer Million Erwerbslosen stieg. 60 Auch auf innenpolitischer Ebene ließen die Folgen nicht lange auf sich warten. Der zusätzlich durch die Spionageaffäre um den Kanzlerberater Guillaume politisch angeschlagene Bundeskanzler Willy Brandt gab auf und trat zurück. Sein im Mai 1974 vom Bundestag gewählter Nachfolger Helmut Schmidt setzte in den nächsten Jahren einen

Weitere Kostenlose Bücher