Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
allem die Kubakrise 1962 waren dann die Zäsuren, nach denen auch auf internationaler Ebene wieder kleinere Fortschritte in der Entspannung verzeichnet werden konnten. International führten die Erfahrungen der Kubakrise, neben der Einrichtung eines «Roten Telefons» im August 1963, zur Unterzeichnung des ersten wirklichen Vertrags über das Verbot überirdischer Tests atomarer Waffen. 19 Der Abschluß dieses sogenannten Partial Test Ban Treaty (PTBT) hatte nicht nur militärische, sondern auch ökologische Gründe, da die Umweltbelastung durch den radioaktiven Niederschlag erheblich geworden war. Die USA und die UdSSR einigten sich darauf, daß nun Versuche im Weltraum, in der Atmosphäre und unter Wasser verboten sein sollten. Von einigen Staaten wurde dies bereits als ungerechtfertigter Eingriff in die nationale Souveränität gewertet. So verweigerten unter anderem Frankreich, das erst 1960 seine erste Atombombe gezündet hatte und nun auf dem Weg zur Entwicklung einer eigenen H-Bombe war, sowie das atomare Schwellenland China, das kurz vor dem Test seines ersten nuklearen Sprengsatzes stand, die Unterschrift. Insgesamt traten aber 114 Staaten bei. Da Kernexplosionen nun erwartungsgemäß nicht nur in erheblichem Umfang unterirdisch durchgeführt wurden, sondern nach wie vor in unbegrenzter Größe stattfinden konnten, ergänzte man das PTBT 1974 zunächst durch den sogenannten Schwellenvertrag. Er beschränkte die Sprengkraft auf 150 Kilotonnen pro Versuch. Zwei Jahre später einigte man sich zusätzlich darauf, daß die unterirdischen Kernexplosionen nur dann erlaubt seien, wenn sie «zu friedlichen Zwecken» durchgeführt würden. Schon dieser «PNE-Ver-trag» konnte allerdings nicht mehr ratifiziert werden. Dennoch hielten sich die Unterzeichner an seine Bestimmungen. Ein umfassendes Verbot von Nukleartests konnte dagegen während des Kalten Krieges nicht durchgesetzt werden. Immerhin wurden jedoch in seinem letzten Jahr 1991 zur Überwachung eines möglicherweise kommenden Verbots seismische Stationen eingerichtet.
Anders als Optimisten nach dem Abschluß des Teststoppvertrags prophezeit hatten, war mit dem Jahr 1963 wiederum nicht das Ende des Kalten Krieges erreicht. Für den Rüstungswettlauf erwiesen sich diese und die meisten weiteren Abmachungen sogar als erstaunlich folgenlos. Die atomaren Kapazitäten wuchsen trotz der Verhandlungen und konzentrierten sich regelmäßig auf jene Waffensysteme, die von den Verträgen noch nicht erfaßt waren. Der Hintergrund lag nicht nur in dem über Jahre gewachsenen Mißtrauen, sondern in dem von beiden Seiten getragenen Verständnis von Entspannungspolitik: Der Kalte Krieg blieb ein Krieg, in dem auch Abrüstungsvereinbarungen nicht die eigene Sicherheit gefährden durften. Warum dennoch im letzten Drittel der sechziger Jahre kontinuierlich der Wunsch wuchs, über die Lippenbekenntnisse hinaus zu tatsächlicher Abrüstung zu kommen, lag an mehreren Entwicklungen. Für den Warschauer Pakt spielte vor allem die erreichte Parität bei den kostspieligen Interkontinentalraketen eine wichtige Rolle. Diesen Gleichstand wollte man festschreiben. Darüber hinaus bestand die Notwendigkeit, sich mit dem Westen über den Import von einfuhrbeschränkten Produkten zu einigen. Auch der eskalierende Konflikt mit den Chinesen und die Furcht, der Westen könne möglicherweise den Ausgleich mit Peking suchen, um die UdSSR zu schwächen - wie es dann 1971/72 t atsächlich geschah -, ließen den Willen zur Abrüstung in Moskau wachsen.
Im Westen war es ebenfalls ein ganzes Bündel von Motiven, das die reale Reduzierung der Rüstung ermöglichte: eine wachsende «Kriegsmüdigkeit» der Bevölkerung angesichts der ständigen Bedrohung, die hohen Kosten der Rüstung und nicht zuletzt der mangelnde Erfolg der bisherigen Politik der Stärke. In den USA begünstigten nicht zuletzt innenpolitische Probleme das Umdenken. Der Kalte Krieg fraß auch hier Ressourcen, während gleichzei- 1 ig soziale Probleme unkontrollierbar wuchsen. Der Krieg in Vietnam spielte eine besondere Rolle, da er nicht nur in den USA, sondern auch in den verbündeten Staaten - nicht zuletzt der Buntlesrepublik - umfassende Proteste auslöste und sich als Problem für die Einheit des Bündnisses erwies. Es ist allerdings schwierig, den realen Einfluß dieser «68er-Bewegung» auf die Verhandlungsbereitschaft der Supermächte und die erreichte Abrüstung zu rekonstruieren. Langfristig wichtig wurde jedoch die
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