Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
Vom Netzwerk:
besten gar nicht stattfinden sollen. Noch nie haben so viele Menschen so lange Zeit um so wenig gerungen wie um die einhundert Seiten lange Erklärung guter Absichten in den Ost-West-Beziehungen.» 25 Diese weitgehend negative Wahrnehmung änderte sich auch in den USA erst dann allmählich, als die «Schlußakte von Helsinki» ab 1977 zum wirksamen Hebel der amerikanischen Außenpolitik im Kalten Krieg wurde.
Die Schlußakte von Helsinki
    Der Abschluß von SALT I, vor allem aber die von der Bundesrepublik Deutschland mit der DDR, Polen, der UdSSR und der Tschechoslowakei ausgehandelten Ostverträge hatten 1972 auch den Weg zu einer speziellen Serie von Treffen über europäische Sicherheitsfragen geöffnet. Die erste Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die noch auf den Vorschlag des Ostblocks aus dem Jahr 1967 zurückging, begann am 22. November 1972 und endete am 1. August 1975 mit der sogenannten Schlußakte von Helsinki. Die Treffen waren zunächst wenig spektakulär. In sogenannten «Körben» wurde über verschiedene Themen verhandelt. «Korb 1» beinhaltete unter anderem vertrauensbildende Maßnahmen und Prinzipien der internationalen Zusammenarbeit. Ein zweiter Korb betraf die wirtschaftlich-wissenschaftliche Kooperation. Ein dritter Korb hieß «Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen», worunter «menschliche Kontakte», aber auch Informationsaustausch und Zusammenarbeit auf den Gebieten Kultur und Bildung fielen. Die Sowjetunion zeigte vor allem Interesse am ersten Korb, der unter anderem die Regelung von strittigen Grenzfragen versprach. Mit ihrer Unterschrift unter die Schlußakte von Helsinki stimmten die Ostblockstaaten dann aber auch zwangsläufig zum Beispiel einem Passus über mehr Freizügigkeit und die Einhaltung von Menschenrechten zu. Diese Unterschrift eröffnete dann eine für den Ostblock besonders unangenehme Front im Kalten Krieg: die Frage der Einhaltung von Menschenrechten in kommunistischen Staaten. Sie war um so unerträglicher, als sich Verletzungen von Menschenrechten propagandistisch schwer entkräften ließen und so das selbstgefällige liild der «Sozialistischen Menschengemeinschaft» nachhaltig beschädigte.
    Die Verknüpfung von Entspannungspolitik und Menschenrechten war 1974 zum ersten Mal aufgekommen. Den Hintergrund bildete zunächst vereinzelte Kritik im US-Kongreß an der Euphorie der neuen Zusammenarbeit mit dem Ostblock. Treibende Kraft wurde der demokratische US-Senator Henry Jackson, der sich dadurch auch für den bevorstehenden US-Präsidentschaftswahl-kampf zu profilieren suchte. Zusammen mit dem Abgeordneten Charles Vanik brachte Jackson 1974 einen folgenreichen Antrag in den Kongreß ein. Das sogenannte Jackson-Variik Amendment forderte, daß sowohl die von der republikanischen Regierung unter Nixon für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion vorgeschlagene Meistbegünstigungsklausel als auch die Vergabe von Krediten an Moskau an die Frage geknüpft werden sollten, in welcher Weise sich die sowjetische Regierung gegenüber Ausreiseersuchen von Juden verhalte. Im Jahr 1972 hatte die Sowjetunion ihre Auswanderungsbestimmungen verschärft und forderte seitdem von jedem jüdischen Auswanderer, der in der Regel nach Israel ging, eine hohe Ausreisesteuer. Henry Kissinger vermutete damals, der Sinn dieser Maßnahme sei schlicht gewesen, das Prestige Moskaus in den arabischen Ländern zu steigern. 26 Tatsächlich stimmte der Kongreß im Dezember 1974 dem Jackson-Vanik Amendment zu. Zum folgenreichen Eklat kam es dann, als Jackson die von den Sowjets akzeptierte Abmachung veröffentlichte und Moskau sich bloßgestellt fühlte. Kurz darauf zog Breschnew nicht nur die Auswanderungsbestimmungen wieder an, sondern stornierte auch das Handelsabkommen mit den USA.
    Im US-Wahllcampf 1976 gegen Nixons Nachfolger, Gerald Ford, setzte der demokratische Herausforderer Jimmy Carter dann in seinen außenpolitischen Zielen zentral auf die Menschenrechte. Sie waren für ihn nicht nur die Möglichkeit, die Sowjetunion im
    Kalten Krieg auf einem bislang vernachlässigtem Gebiet herauszufordern, sondern gleichzeitig die Gelegenheit, eine neue, «moralische» Komponente in die durch Vietnam und den Watergate-Skandal diskreditierte US-Politik zu bringen. Aber auch bei den Republikanern war «Moral» der zentrale Begriff, als sie auf dem Nominierungsparteitag 1976 die Entspannungspolitik als den falschen Weg im Kalten Krieg verdammten. Obwohl der

Weitere Kostenlose Bücher