Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
siebziger Jahren auch die wirtschafts- und entwicklungspolitischen Folgen des Kalten Krieges zur Agenda, da der immer weiter forcierte und kostspieligere Rüstungswettlauf der Supermächte deutlichen Einfluß auf den Umfang der Entwicklungshilfe nahm. Bereits 1964 war eine eigene wirtschaftspolitische Interessenvertretung gegründet worden, die «Gruppe 77». Ihr gelang es in den Jahren 1973 und 1976, die Forderung nach einer Neugestaltung der internationalen Wirtschaftsordnung als Programmpunkt der Bewegung durchzusetzen, nachdem die erste Ölkrise die Macht einzelner Staaten der Dritten Welt eindrücklich
Mitspieler zwischen den Blöcken Die Blockfreienbewegung 1955-2003
demonstriert hatte. Immerhin erreichte man, daß die UN-Vollver-sammlung am 9. Mai 1974 ein Aktionsprogramm zur Errichtung einer «Neuen Weltwirtschaftsordnung» verabschiedete. Politisch erwies sich jedoch auch dies als fast folgenlos. Das neugegründete Preiskartell der wichtigsten ölexportierenden Staaten, der OPEC, war zu eng mit den Wirtschaftsinteressen der reichen Industrieländer verbunden.
Das Ende des Kalten Krieges demonstrierte noch einmal die Schwäche der Gruppe 77, aber auch die Bedeutung des Blockkonflikts für die Bewegung. Die zweite Konferenz der damals 42 Länder umfassenden Gruppe der am wenigsten entwickelten Staaten der Welt, der sogenannten Least Developed Countries (LLDC), die 1990 in Paris veranstaltet wurde, erwies sich als Fehlschlag, weil das absehbare Ende des Konflikts auch die Interessen der großen Industriestaaten an der wirtschaftlichen Unterstützung der Dritten Welt schwächer werden ließ. Die wenigen überhaupt angereisten Staats- und Regierungschefs lehnten die erneut vorgetragene Forderung, die Entwicklungshilfe bis 1995 auf einen bestimmten Prozentsatz des Bruttosozialprodukts der jeweiligen Geberländer zu erhöhen, kategorisch ab. Entwicklungshilfe im Kalten Krieg, so zeigte sich hier noch einmal deutlich, war immer eher eine politi-
sehe Waffe im Systemkonflikt gewesen. Mit der Auflösung des Ost- • blocks fehlte schlagartig das globale Konkurrenzverhältnis, das auch jenseits von rein wirtschaftlich begründeten Kosten-Nutzen-Rechnungen aus übergeordneten politischen Erwägungen Geld verteilt hatte.
Obwohl der Blockfreienbewegung das Verdienst zukommt, eine aktive Rolle der Dritten Welt im Konzert der großen Mächte im Kalten Krieg erkämpft zu haben, blieb rückblickend betrachtet die politische Wirkung dieser Gruppe fast durchgängig schwach. 34 Im günstigsten Fall wird ihr zugestanden, den Blick für die Länder der Dritten Welt und den Nord-Süd-Konflikt geschärft zu haben. Zwar gelang es einzelnen privilegierten Ländern, etwa dem geostrategisch günstig gelegenen Ägypten oder den ölreichen OPEC-Staaten, die Fronten des globalen Konflikts virtuos für sich zu nutzen. Herausragende Persönlichkeiten der Bewegung konnten politische Entscheidungen tatsächlich forcieren. So wog die Drohung Nehrus 1947, die niederländische Intervention in Indonesien vor den Sicherheitsrat der UNO zu bringen, immerhin so schwer, daß die USA begannen, von den zunächst unterstützten Relcolonisierungsplänen Den Haags abzurücken. Doch für die Masse der NAM-Staaten traf dies nicht zu. Der Versuch, die Industriestaaten zu mehr wirtschaftlichen Zugeständnissen zu zwingen, scheiterte ebenso wie der Vorstoß, den Ölpreis politisch wirksam einzusetzen. Dies mißlang nicht zuletzt wegen der politischen Zerstrittenheit und den zahlreichen Sonderinteressen innerhalb der Bewegung. Das Bekenntnis zum Verzicht auf kriegerische Mittel erwies sich darüber hinaus vor allem dann als Makulatur, wenn Mitglieder der Blockfreienbewegung teilweise über Jahrzehnte militärische Konflikte austrugen (u. a. Pakistan und Indien, Somalia und Äthiopien, Vietnam und Kambodscha, Uganda und Tansania, Malaysia und Indonesien, Irak und Iran). Speziell im Fall Pakistans und Indiens erwies sich die Organisation als unfähig, den seit 1947 andauernden Konflikt um die Provinz Kaschmir zu beenden, in dessen Verlauf beide Staaten zu den größten Waffenimporteuren der Welt heranwuchsen. Dabei näherte sich Pakistan nach dem indisch-chinesischen Grenzkrieg
1962 Peking an, während Indien nach erfolglosen Bemühungen um amerikanische Waffenhilfe stärker an die UdSSR heranrückte. Anhand des Kaschmir-Konflikts kann man allerdings auch bele-
gen, wie hilfreich das politische Engagement der Supermächte sein konnte: Der
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