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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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die Treppe heruntergerannt.
    Katja kehrte in die Wachstube zurück. Hier würden sämtliche Informationen über den Hergang der Operation eingehen. Wenn man Basarow fasste, war sie eine der Ersten, die davon erfahren würden. Der Wachhabende gab Katja eins der tragbaren Funkgeräte, die auf den Sonderkanal der Einsatzwagen eingestellt waren.
    Inspektor Sidorow stand schon eine geschlagene Stunde auf dem Bahnsteig der Station Rasdolsk. Zwei bewaffnete Patrouillen, die hier Dienst taten, waren für alle Fälle von ihm vorgewarnt worden. Aber für die Milizionäre war es schwierig – sie wussten nicht, wie Iwan Basarow aussah.
    Nach sechs Uhr kamen die Züge in immer rascherer Folge: sechs Uhr fünfzehn, sechs Uhr fünfundvierzig, sieben Uhr. Aus dem Sechs-Uhr-fünfundvierzig-Zug, der bis Tscherusti fuhr, stiegen in Rasdolsk besonders viele Fahrgäste aus. Sidorow musterte die Leute scharf, wobei er über den Bahnsteig ging, bis er zu den letzten Wagen gelangte. Immer noch stiegen Fahrgäste heraus. Und plötzlich . . .
    Er bemerkte Iwan Basarow eher zufällig. Der junge Mann stand auf der Plattform des drittletzten Wagens, machte aber keine Anstalten, herunterzukommen.
    »Bitte zurücktreten, die Türen werden geschlossen. Nächste Station. . .«
    Sidorow, der den strikten Befehl erhalten hatte, dem Bruder des »Irren« heimlich zu folgen, überlegte nicht lange, sprang in den viertletzten Wagen und ging an Iwan vorbei in den dritten Waggon. Hinter Rasdolsk waren nicht mehr viele Passagiere im Zug.
    Iwan kehrte in den Waggon zurück. Er setzte sich nicht, sondern blieb am ersten Fenster stehen, wo es keine störenden Bänke gab. Er blickte nach draußen auf den vorbeihuschenden Wald. Deutlich hob er sich von den üblichen, verarmt wirkenden, abgerissenen Fahrgästen der Moskauer Vorortzüge ab. Man sah sofort, dass er teure Kleidung trug – das neueste und angesagteste Szene-Outfit. Nur die Farben waren ein bisschen zu knallig, wie bei einem tropischen Papagei. Und die Frisur – gelglänzende Locken, die ihm wie einem Mädchen in die Stirn fielen. Eine Gruppe Jugendlicher mit Rucksäcken kam durch den Wagen. Sidorow bemerkte den Blick, mit dem Iwan die Jungen verstohlen musterte.
    Die nächste Station war die Siedlung Mebelny. Iwan wandte sich zum Ausgang. Offenbar hatte er von vornherein vorgehabt, nicht in Rasdolsk, sondern erst an dieser Station auszusteigen. Busse fuhren von hier zwar nicht, doch bis Uwarowka war es nicht mehr weit – nur drei Kilometer, wenn man durch den Wald ging, in dem es Dutzende von Trampelpfaden gab. Sidorow erinnerte sich, dass hier ganz in der Nähe die Leiche dieses Elitesoldaten aus Moskau entdeckt worden war, Jakowenko, den er persönlich gesucht hatte.
    Die Bahn verlangsamte das Tempo und hielt. Die Türen öffneten sich. Iwan stieg aus. Sidorow sprang hinterher. Der Bahnsteig war fast menschenleer. Die Passagiere, die den Zug verlassen hatten, überquerten die Gleise und gingen in Richtung Mebelny. Iwan stieg die wackligen Stufen des Bahnsteigs hinunter und ging über den fest gestampften Pfad, der in die entgegengesetzte Richtung führte, in den Wald. Sidorow kannte diesen Weg sehr gut: vorbei am Haus der Stationswärterin, durch ein Waldstück und dann auf die Hauptstraße. Von da war es nur noch ein Steinwurf bis Uwarowka.
    Es war nicht so einfach, Iwan unbemerkt zu folgen, denn einen anderen Weg als diesen gab es nicht. Sidorow wartete zwei Minuten, um Iwan ein wenig Vorsprung zu geben; dann ging er los und folgte dem Jungen etwa anderthalb Kilometer weit. Unterwegs begegnete ihnen nur ein einziger Datschenbewohner, ein alter Mann mit einer Einkaufstasche auf Rädern. Von Uwarowka nach Mebelny ging kaum jemand zu Fuß – die Leute aus der Datschensiedlung waren wohlhabend, und fast alle besaßen Autos.
    Sidorow schritt nun schneller aus. Bald gelangte er auf die betonierte Hauptstraße. Auch Iwan ging rascher, mit großen Schritten. Der Inspektor wunderte sich, dass ein solch herausgeputzter Schnösel kein eigenes Auto besaß. Hatte der Junge vielleicht keinen Führerschein? Iwan ging am Waldrand entlang und mied die Hauptstraße, als wolle er nicht gesehen werden.
    Plötzlich hörte Sidorow ein Auto herankommen. Dann bog es auch schon um die Ecke – ein weißer, schmutzbespritzter Audi – und bremste abrupt. Sidorow erstarrte und sprang in die Deckung eines Baumes. Was hatte das jetzt zu bedeuten? Seine Hand fuhr wie von selbst unter seine Jacke, die Finger öffneten die

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