Der kalte Kuss des Todes
jetzt das Familienoberhaupt, auf das sich alle verlassen. In Gelddingen ist er sehr umsichtig.«
Katja nickte. Der Name Prosorowa war ihr seit ihrer ersten Fahrt mit Kolossow nach Polowzewo im Gedächtnis: Das war die Besitzerin der Datscha, auf der Grant ermordet worden war. Und diese Frau erwies sich nun als Freundin der Mansurowa. Dass die Datscha an einen allein stehenden Mann vermietet worden war, wusste man in der Familie Basarow. Dmitri wusste es ganz bestimmt. Stepan wahrscheinlich auch. Und vielleicht auch der jüngste Bruder, Iwan . . .
Nach diesem eigentlich nicht eingeplanten Abstecher hatte Katja es eilig, aufs Rasdolsker Revier zu kommen. Wenn Kolossow noch dort war, würden ihn ihre Neuigkeiten über die Datscha in Polowzewo bestimmt interessieren. Obwohl . . . was änderte es eigentlich?
Katja musste endlos lange auf den Bus in die Stadt warten, sodass sie erst um kurz nach drei im Milizrevier eintraf, wo sie zu ihrer Enttäuschung erfuhr, dass Kolossow an diesem Tag gar nicht in Rasdolsk war. Sie erkundigte sich, ob man Stepan Basarow schon aus dem Institut zurückgebracht habe. Nein, noch nicht, bekam sie zur Antwort. Wir warten auf ihn.
In seinem wegen der Hitze sperrangelweit geöffneten Büro saß der unermüdliche Sidorow korrekt in voller Uniform und verhörte irgendeinen Saufbruder – es ging um Ruhestörung und Hausfriedensbruch. Sidorow nickte Katja wie einer guten alten Bekannten zu: Schön, dich zu sehen, setz dich nur, gleich hab ich Zeit für dich.
Im Hof hielt mit quietschenden Bremsen ein Wagen. Gleich darauf hörte man schwere, schnelle Schritte auf der Treppe. Sidorow reckte erstaunt den Hals. Was ist da los? Im selben Moment kam auch schon wie eine Rakete sein Kollege ins Büro geschossen – ein blutjunger Leutnant, keuchend und mit hochrotem Kopf. An seiner Miene sah Katja sofort, dass etwas passiert war.
»Sascha, Alarm!«, rief der Kollege und stürzte zum Panzerschrank. In der Eile ließ er die Schlüssel fallen. »Er ist geflohen! Der Verrückte! Dieser verfluchte Werwolf. . . er ist weg! Unsere Männer haben von unterwegs angerufen. Glaskow ist verletzt. Dieser Irre hat ihm den Arm gebrochen. Und Besdoroshny ist bewusstlos, hat einen fürchterlichen Schlag auf den Kopf gekriegt. . .«
Sidorow scheuchte den Saufbruder mit einer Handbewegung davon. Der Mann packte verschreckt seinen Stoffbeutel, in dem leere Flaschen klirrten, und wich eilig zur Tür zurück. Da schrillte auch schon das Telefon – der Apparat für Auswärtsgespräche.
29 Schicksal
Kaum war die Nachricht aus dem Präsidium auf Kolossows Handy eingegangen, verließ er das Troize-Sergijew-Kloster und die Finnen und fuhr nach Rasdolsk.
»Wie konnte er fliehen, verdammt? Wo hat die Wache ihre Augen gehabt?«, schnauzte er den Diensthabenden wütend an, der ihn aus dem Präsidium anrief, als wäre der Mann daran schuld.
Als Antwort erhielt er folgende Informationen: Stepan Basarow hatte im Auto einen Anfall simuliert und so getan, als wollte er sich selbst verletzen. Die Wachsoldaten hatten versucht, ihn zu beruhigen und ihm neue Fesseln anzulegen – im Wagen, was streng verboten war. Basarow hatte den Augenblick, als die Handschellen geöffnet wurden, blitzschnell genutzt, hatte einem der Wachsoldaten einen Schlag ins Gesicht verpasst und war aus dem Wagen gesprungen. Ein zweiter Mann hatte versucht, ihn mit Waffengewalt zurückzuhalten, doch Basarow hatte dem Bewacher die Pistole aus der Hand geschlagen und ihm dabei den Arm gebrochen. Dann war er in den Wald geflüchtet. Der Fahrer sowie der dritte, unverletzte Wachsoldat hatten ihn verfolgt, doch er war entkommen.
Auf Kolossows Frage nach der Pistole teilte der Diensthabende mit, dass Basarow die Waffe nicht mitgenommen habe. Seltsam, dachte Nikita. Doch wenn man so viel Kraft besitzt wie Basarow, braucht man eigentlich gar keine Knarre – seine Hände sind seine Waffe. Aber weshalb war er durchgedreht? Hatte er Angst vor dem Ergebnis des Gutachtens?
Kurz darauf rief Untersuchungsführer Kassjanow an – auch ihn hatte man inzwischen informiert. Er teilte mit, dass Iwan, der jüngste der Basarow-Brüder, zum Verhör bei ihm gewesen sei; die Nachricht von Stepans Flucht sei noch während Iwans Anwesenheit eingetroffen. »Ich habe dem Jungen ans Herz gelegt, vorsichtig zu sein, und ihn dann gehen lassen. Er ist nach Uwarowka gefahren. Offenbar hat er sich Sorgen um seine Verwandten gemacht.«
Als Kolossow das hörte, knirschte er vor Wut mit den
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