Der kalte Kuss des Todes
Die Chaussee war wie ausgestorben – nur Wald, nichts als Wald zu beiden Seiten.
»He, was ist los?« Der Geleitsoldat sah Basarow überrascht von der Seite an. Der ächzte heiser, als bekäme er keine Luft.
Niemand von den Insassen des Geländewagens hatte mit dem gerechnet, was nun geschah. Basarow krümmte sich, stieß ein heiseres Geheul aus und schlug wie rasend mit dem linken Arm gegen die Rückenlehne des Vordersitzes. Augenblicklich spritzte Blut hervor, und der Verband rutschte herunter. . .
»Halt seinen Arm fest! Du lieber Himmel, so viel Blut! Mach die Handschelle los, schnell! Man muss ihm die Arme von vorn fesseln! Er hat einen Anfall! – Ruhig, mein Freund, ganz ruhig!«
Der Wagen bremste. Eine leere Straße. Vier Männer im Wageninnern wie Heringe in der Dose. Basarow verbiss sich mit den Zähnen in seinen Arm. Der Bewacher rechts von ihm versuchte ihn loszureißen und packte ihn bei den Haaren.
»Beide Arme müsst ihr fesseln, beide! Hört ihr denn nicht, was ich sage!«, rief er. »Schnell, runter mit der Handschelle, sonst verstümmelt er sich selbst! Halt ihn fest, zieh den Arm hier rüber, los! So halt doch endlich seinen Arm fest!«
Das Schloss der Handschelle schnappte auf, doch die Wachsoldaten schafften es nicht mehr, Stepans Arm festzuhalten.
»Wer ist denn da?« Anna Mansurowa kam in ihrem Rollstuhl ins Wohnzimmer gefahren. Sie trug einen flauschigen bunten Pyjama. Ihre grauen Haare waren ungekämmt. »Dmitri? Wer sind denn Sie? Ach, natürlich, er hatte ja eine Schwester eingestellt. . .«
»Ich bin keine Schwe. . .«
»Geben Sie mir das Radio, es steht hinter Ihnen. Im › Moskauer Echo ‹ müssen jetzt die Nachrichten kommen.«
Katja drehte sich um – auf dem Kamin hinter ihr stand ein kleines japanisches Radio mit Kopfhörern. Offenbar hatte die Mansurowa ganz vergessen, dass man ihr Katja schon einmal als »Frau von Wadim, dem Sohn Andrej Krawtschenkos« vorgestellt hatte, und auch ihr Gespräch über die »Bärenhochzeit« schien ihr entfallen zu sein.
»Ist Dmitri mit Ihnen gekommen? Nicht? Wann kommt er denn?« Die Greisin warf kokett den Kopf zurück.
Auf der Terrasse erklangen Schritte: Marussja war zurück. Umständlich versuchte sie der Mansurowa klarzumachen, dass es sich bei dem Mädchen nicht um die neue Schwester handelte.
»Trinken Sie erst mal eine Tasse Tee«, sagte sie schließlich mit einem resignierten Abwinken zu Katja. »Müssen Sie denn zurück nach Moskau?«
»Wenn Sie in Moskau Dmitri sehen, sagen Sie ihm, er soll dieses grässliche Ding aus seinem Telefon nehmen. Marussja und ich konnten ihn tagelang nicht erreichen«, krächzte die Mansurowa dazwischen. Katja erriet, dass sie damit die Mailbox von Basarows Handy meinte. »Und sagen Sie ihm unbedingt, dass Dolores angerufen hat. Sie ist in Sorge wegen ihrer Datscha, aber vergessen Sie es nicht, Schwester . . .«
Katja blickte Marussja fragend an. Die winkte wieder ab.
»Dolores ist ihre Freundin. Zurzeit ist sie bei ihrem Sohn im Ausland, aber sie regt sich ständig wegen ihrer Datscha auf«, erklärte Marussja, als sie auf die Terrasse gingen, um Tee zu trinken.
»Welche Datscha?«, fragte Katja.
»Die Datscha ihres verstorbenen Mannes, ganz in der Nähe in Polowzewo. Dolores vermietet sie immer – auch dieses Jahr. Deswegen hat sie angerufen und war ganz aufgeregt. Aber wir haben jetzt wirklich andere Sorgen. So viel Not, so viel Unglück! O Gott!« Marussja schluchzte und wischte sich mit dem Schürzenzipfel über die Augen. »Soll der Teufel diese Datscha holen! Als ob Dmitri sich jetzt um so was kümmern könnte!«
Katja schob ihre Tasse zur Seite. »Vielen Dank für den Tee, ich muss jetzt wirklich los. Wie heißt diese Freundin von Anna Pawlowna mit Nachnamen?«
»Prosorowa. Das ist der Name ihres Mannes. Er war mit unserem Kirill Arsentjewitsch befreundet. Drei Jahre ist’s jetzt her, dass er gestorben ist. . . Die Kinder von Dolores sind alle ins Ausland gegangen, haben die alte Frau allein gelassen. Nun muss sie sehen, wie sie zurechtkommt. Sie wollte die Datscha wieder vermieten. Als sich dann einer dafür interessiert hat, konnte sie sich nicht mehr selber darum kümmern, weil sie schon ein Flugzeugticket hatte, denn sie wollte den Sommer über zu ihrem Sohn. Darum hat sie ihn gebeten . . .«
»Wen gebeten? Stepan? Sie hat Stepan gebeten, sich um die Datscha zu kümmern?«
»Aber nein, doch nicht Stepan.« Marussja schluchzte wieder auf. »Dmitri hat ihr geholfen. Er ist
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