Der kalte Kuss des Todes
zwängten sich durch die Menge und schleppten riesige Blumensträuße und Kränze herbei. Blitzlichter flackerten.
Katja suchte in der Menge nach Bekannten: Da drüben stand Krawtschenkos Vater – seine Größe und Statur hoben ihn trotz der Last seiner siebzig Jahre immer noch aus der Masse heraus. Katja dachte daran zurück, wie erstaunt sie anfangs gewesen war, dass Krawtschenko senior – ein KGB-General – so eng mit vielen berühmten Künstlern befreundet war. In der geräumigen Wohnung an der Neshdanowa-Straße versammelten sich bei Familienfeiern viele Leute, die Katja aus dem Fernsehen kannte oder von denen sie oft in der Zeitung las. Früher einmal, in den Siebzigeijahren, hatte Krawtschenko senior beim KGB die nicht ganz unbekannte Abteilung Eins für Außenaufklärung geleitet und über weitreichende Verbindungen verfügt. Ende der Neunzigerjahre war der erste Teil seiner »Memoiren« in Russland und im Ausland erschienen und ein Bestseller geworden.
Für Katja hegte der alte Mann eine besondere Zuneigung und versprach ihr ständig, sich an den zweiten Teil seiner Erinnerungen zu setzen. Jetzt drängte Katja sich bis zu ihm durch, und er fasste sie schweigend unter. Doch gleich darauf zogen irgendwelche anderen Bekannten ihn fort, und Katja blieb wieder allein in der Trauergemeinde zurück. Sie fühlte sich müde und war nicht einmal mehr neugierig (was doch eigentlich ihr ausgeprägtester Charakterzug war), wer alle diese Größen und Berühmtheiten waren, die an diesem Tag auf den Wagankowskoje-Friedhof gekommen waren, um sich von dem »genialen« Basarow zu verabschieden. Um sich abzulenken, musterte sie die Mitglieder der Familie Basarow, die unmittelbar am Grab standen. Sie hatte gehört, dass man sie in Moskau nur als den »Clan« bezeichnete. Und warum auch nicht? Es war ja wirklich ein Clan, eine Familie im besten Sinne des Wortes, mit festen, tiefen Wurzeln, alten Traditionen und Verbindungen. Und wie ausgesucht waren es lauter Männer: die Söhne und Enkel. Der verstorbene Kirill Basarow hatte nicht nur im russischen Film eine weithin sichtbare Spur hinterlassen. Wie alle im Land, hatte auch Katja sich in diesen Tagen der Trauer sämtliche berühmten Filme Basarows im Fernsehen angeschaut – von den optimistischen Komödien aus den frühen Fünfzigeijahren, die davon handelten, »wie gut es sich im Sowjetland lebt«, bis zu den werkgetreuen Verfilmungen der russischen Klassiker. Der Patriarch des Clans hatte nicht nur viele Kilometer Filmband hinterlassen, sondern auch ein starkes Geschlecht.
»Halt durch, Katja, bald ist es vorbei«, flüsterte Wadim, der plötzlich aus der Menge auftauchte, und unterbrach ihre Gedanken.
Krawtschenko junior war nach Abschluss seines Studiums zunächst in die Fußstapfen des Vaters getreten. Aber schon 1993 verließ er die Reihen des KGB-FSB und machte es auf der Jagd nach dem schnellen Dollar vielen seiner Kollegen nach – er wurde professioneller Bodyguard. Seit einigen Jahren war er Security-Chef bei Wassili Tunigunow, dem für seine Tollheiten berüchtigten Moskauer Multimillionär, von dem man erzählte, er habe mehr Geld als Beresowski, und der in gewissen Kreisen besser unter dem Spitznamen »Tunichtgut« bekannt war.
Leider war das Glück Krawtschenkos Boss nun nicht mehr hold: Auf Grund seines chronischen Alkoholismus in Verbindung mit seinem Alter hatten sich seine vielen Zipperlein verschlimmert, und mit Tunigunows Gesundheit ging es langsam, aber sicher bergab. Derzeit bestand Krawtschenkos Arbeit hauptsächlich darin, seinen Boss in ausländische Kliniken und Sanatorien zu begleiten. In einigen Tagen würden sie nach Österreich fliegen, nach Bad Hall, wo Tunigunow stationär untersucht werden sollte. Wadim sagte, sie würden dort nicht länger als einen Monat verbringen.
Die Trennung verdarb Katja die Laune: Es blieb kaum Zeit zum Packen, und nun auch noch diese Beerdigung, an der sie »unbedingt« teilnehmen mussten, weil sonst die Familie Basarow, mit der die Familie Krawtschenko schon so lange eng befreundet war, kein Verständnis haben würde . . .
»Wo gehst du nachher hin, Katja? Zur Arbeit?«
Katja drehte sich um. Natürlich, Meschtscherski. Der traurige, fürsorgliche Hausfreund.
Am Vortag, dem Tag davor und sogar an diesem Morgen hatte sie vergeblich versucht, im Präsidium neue Einzelheiten zum Mord an Igor Sladkich zu erfahren. Niemand von ihren Kollegen aus dem Pressezentrum wusste Genaueres. »Du warst doch selbst am
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