Der kalte Kuss des Todes
Tatort, was fragst du uns!«, wunderten die Kollegen sich und stichelten: »Was ist denn mit deinen Verbindungen?« Nun war Katja schon seit drei Tagen erfolglos hinter Nikita Kolossow her. Mal war er auf einer Besprechung beim Chef, mal bei der Staatsanwaltschaft. Heute, am Freitag, noch dazu am Nachmittag, war schon gar nicht daran zu denken, dass man ihn in seinem Büro antreffen könnte. Und als Sergej jetzt fragte, wohin sie »nachher« wolle, antwortete Katja wahrheitsgemäß, dass sie nichts geplant habe.
»Eigentlich wollte ich noch ein bisschen mit Lisa schwatzen«, sagte sie. »Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen.«
Lisa Ginerosowa kannte Katja seit ihrer Sandkastenzeit. Früher waren sie Nachbarn auf der Staatsdatscha gewesen. In der Folgezeit tauchte zwar Lisa nicht oft, aber regelmäßig an Katjas Horizont auf. Eine enge Freundin war sie nicht, eher eine gute alte Bekannte.
Lisa hatte am Maurice-Thorez-Institut studiert und arbeitete anfangs als Übersetzerin für Italienisch und Französisch beim Verlag »Ausländische Literatur«. Dann entdeckte sie plötzlich ihr Talent als Journalistin (der Verlag zahlte inzwischen nur noch Hungerlöhne) und begann für die teuren, schicken Modemagazine zu schreiben. Zurzeit betätigte sie sich als »Haute-Couture-Beobachterin« beim »Stil der neuen Zeit«, erhielt ihre Honorare in Dollar und fütterte ihre Leser mit ausführlichen Exzerpten aus den Eigenpublikationen der größten italienischen Modehäuser.
Seither war für Lisa »Stil« in allen Dingen der höchste Wert. Katja hatte den Verdacht, dass dieses Wort auch bei dem bisher glücklichsten Ereignis in Lisas Leben ein Schlüsselbegriff war – bei ihrer bevorstehenden Eheschließung mit Stepan Basarow, dem Enkel von Kirill Basarow, dessen Sarg man immer noch nicht feierlich in die Erde senken konnte: Die hohe Abordnung wollte und wollte nicht eintreffen.
Lisa stand neben ihrem zukünftigen Schwiegervater Wladimir Kirillowitsch Basarow, dem ältesten Sohn des verstorbenen Patriarchen. Katja sah ihren gesenkten rothaarigen Kopf in der Menge und den Strauß weißer Rosen, den sie fest an die Brust drückte. Als Schönheit konnte man Lisa nicht bezeichnen, aber sie hatte Rasse und Charme – und wunderbare, große graue Augen. Mit solchen Augen konnte man auch das Herz eines so begehrten Bräutigams wie Stepan Basarow bezwingen.
Vor vielen Jahren hatten die Basarows auch auf der Staatsdatscha Urlaub gemacht. Wladimir war damals stellvertretender Abteilungsleiter im ZK gewesen; später hatte er einen leitenden Posten im Ministerium für Öl und Gas bekleidet. Als sich Anfang der Neunzigerjahre die politische Lage abrupt änderte, fand er ein warmes Plätzchen bei einem russisch-kanadischen Jointventure. Und jetzt hatte Lisa nicht nur einen Bräutigam, »einen jungen Mann aus einer angesehenen Moskauer Familie«, sondern auch einen höchst stattlichen und wohlhabenden Schwiegervater, um den man sie beneiden konnte.
Aus den Zeiten der Datscha erinnerte Katja sich nicht mehr an die Basarows – sie war damals noch zu klein gewesen – , doch an der Uni hatte sie die Familie wiedergesehen. Als Katja ihr Jurastudium an der Moskauer Universität aufgenommen hatte, waren die Brüder Basarow im achten Semester gewesen. Für drei Dinge waren sie an der Fakultät bekannt: den berühmten Großvater – »ja, genau der, hast du seine Filme gesehen?« – , den hoch gestellten Vater und »die eigene Karre«. Zum achtzehnten Geburtstag hatte der Großvater seinen Enkeln einen Shiguli geschenkt, was Ende der Achtzigerjahre ein wirklich fürstliches Geschenk war.
Die beiden Basarows waren Zwillingsbrüder und kaum zu unterscheiden. Es ging das Gerücht, dass sie diese Ähnlichkeit bei Prüfungen schamlos ausnutzten.
An der Uni hatte Katja mit den beiden kaum ein Wort gewechselt. Erst viele Jahre später hörte sie von Wadim und Sergej wieder von den Zwillingen; die Männer kannten einander fast von Kindesbeinen an. Katja konnte sich nicht genug wundem, wie klein das riesige Moskau manchmal doch war.
Lisa Ginerosowa hatte Stepan Basarow bei einer winterlichen Kreuzfahrt über das Rote Meer kennen gelernt. Von dieser Bekanntschaft erzählte sie ganz begeistert. Später nahmen sich die beiden eine gemeinsame Wohnung. Katja erfuhr von Lisa, dass Stepan nichts dagegen gehabt hätte, diese nicht offizielle Beziehung auch in Zukunft fortzusetzen. »Mir blieb nichts anderes übrig, als dem Schicksal kräftig
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