Der kalte Kuss des Todes
nachzuhelfen. Ich hab ihm Szenen gemacht«, berichtete Lisa über ihre Bemühungen, eine möglichst vorteilhafte Partie zu machen. »Was hätte ich sonst tun sollen? Er ist jetzt gerade in dem Alter, in dem die Männer entweder ein achtzehnjähriges Model zum Standesamt schleifen oder eine Frau aus ihren eigenen Kreisen heiraten, die zu ihnen passt, was Stil und Perspektive angeht.«
Übrigens hatte die vorsichtige Lisa in den anderthalb Jahren, die diese Beziehung schon dauerte, Katja kein einziges Mal vorgeschlagen, ihre lukrative Eroberung persönlich zu besichtigen, sondern sich strikt an das erste Gebot einer klugen Frau gehalten: Mach einen Mann, auf den du selbst ein Auge geworfen hast, niemals mit deiner Freundin bekannt.
Und so sah Katja auf dieser Beerdigung die beiden Brüder zum ersten Mal nach den zehn Jahren wieder, die seit ihrem Studium nun schon vergangen waren. Die Jungen hatten sich in Männer verwandelt und sahen eher schon ein wenig älter aus als die ungefähr dreißig, die sie waren. Flüsternd erkundigte sich Katja bei Wadim, welcher der Zwillinge Stepan und welcher Dmitri sei. Es stellte sich heraus, dass der mit den leicht angegrauten Schläfen Dmitri war; der andere, der zum schwarzen Anzug eine hässliche pfauenbunte Krawatte trug, war Stepan.
Neben den beiden stand ein noch sehr junger Bursche von vielleicht neunzehn Jahren, mit braunem Haar, bronzener Haut und jeder Menge Gel in der schick gestylten Frisur. Sein kanariengelber Rolli unter der schwarzen Wildlederjacke stach auffallend ins Auge. Katja hielt ihn zutreffend für den jüngsten Basarow, Iwan, der Sohn Wladimirs aus zweiter Ehe, ein Halbbruder der Zwillinge. Seine Mutter war vor einigen Jahren gestorben; danach hatte Wladimir nicht wieder geheiratet.
Lisa, die Katja erspäht hatte, drückte Iwan ihren Rosenstrauß in die Hand und zwängte sich durch den dichten Kreis der Leute, die um das Grab standen, zu der Freundin durch.
»Ich kann dort einfach nicht länger stehen«, flüsterte sie. »Alle starten einem buchstäblich ein Loch in den Bauch. Die ganze Zeit habe ich Angst, dass irgendetwas an mir nicht richtig sitzt, dass die Strumpfhose runtergerutscht ist oder so was.«
»Alles in Ordnung«, beruhigte Katja die Freundin und warf einen Blick auf das gut sitzende schwarze Kostüm, das Lisa trug. Lisa kleidete sich, mit Rücksicht auf ihren »Stil«, immer nur in Schwarz, wie eine Dohle.
»Natürlich tut es mir Leid um den Alten, aber er hat sein Leben gelebt, sechsundachtzig Jahre – was will man mehr! Das letzte halbe Jahr war er bettlägerig. Gelähmt. Sie hatten eine Pflegerin eingestellt, die ihn füttern und auf den Topf setzen musste.« Lisa seufzte. »Schrecklich, nicht? Im Fernsehen haben sie jetzt wieder seine Filme gezeigt. Was für ein Mann! Und was war zum Schluss aus ihm geworden! Ob wir wohl auch mal solche Wracks werden?«
Katja nickte mechanisch. Sie beobachtete, wie Wadim zu seinem Vater ging; dann traten beide gemeinsam auf Wladimir Basarow zu und sprachen ihm ihr Beileid aus.
»Doch wenn es auf der Welt so etwas wie Gerechtigkeit gäbe, hätte der Alte noch bis zum Herbst durchgehalten«, hörte sie Lisa unzufrieden flüstern. »Am 6. Juni wäre eigentlich meine standesamtliche Trauung mit Stepan gewesen. Aber jetzt wurde wegen des Todesfalls alles auf den August verschoben.«
»Was macht das schon aus?«, sagte Katja leise, als sie sah, dass die Lippen der Freundin zitterten. »Es ist doch auch so alles entschieden. Einen Monat früher oder später. . . Er kann ja nicht mehr weglaufen.«
Lisa senkte den Blick. Katja merkte, dass die Freundin ihr etwas sagen wollte, sich aber nicht recht dazu durchringen konnte.
»Er hat sich sehr verändert, Katja«, gestand Lisa schließlich. »Zuerst habe ich gedacht, das ist der Stress nach seiner Krankheit, aber inzwischen. . . weißt du«, sie senkte die Stimme zu einem Wispern, »manchmal scheint es mir, er ist froh, dass es so gekommen ist. . . dass er jetzt einen offiziellen Grund hat, alles zu verschieben. Ja, ich bin mir beinahe sicher.«
»Das ist doch Unsinn.« Katja legte ihr den Arm um die Schultern. »So sind die Männer – mal Ebbe, mal Flut. Man braucht doch nur zu sehen, wie er dich anschaut.«
Eine Bewegung ging durch die Menge, als die Nachricht, dass die lang erwartete Delegation endlich eingetroffen war, sich in Windeseile in der ganzen Trauergesellschaft verbreitete.
»Das ist Dmitri, der herüberschaut – übrigens nicht zu mir,
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