Der kalte Kuss des Todes
wir hinters Haus. Da gibt’s einiges, das du sehen solltest«, sagte er.
Das Blut am Zaun war schon schwarz geworden und erinnerte an übel riechenden, zähen Lack. Katja betrachtete die Flecken schweigend.
»Hier sind Spuren – hier und da drüben. Die Leiche lag hier, als Renat und ich sie gefunden haben, an der Ecke des Schuppens.«
»Weißt du, Nikita, erzähl mir lieber gleich, was ihr entdeckt habt. Ich merke doch, dass du mir irgendwas verschweigst. Wenn man Grant das Genick gebrochen hat, wieso ist dann an verschiedenen Stellen so viel Blut? Da kann man ja auf die abenteuerlichsten Ideen kommen.«
Kolossow gab sich einen Ruck und berichtete ihr von der Wunde an Grants Hals, die diesem nach Eintritt des Todes zugefügt worden war. Erst am Vorabend hatte ihn der Gerichtsmediziner noch einmal angerufen, um ihm mitzuteilen, dass das Gutachten fertig sei. Seine Stimme hatte einen merkwürdigen Beiklang gehabt – irgendwie unsicher, was Kolossow verwundert hatte: Normalerweise konnte man Iwan Pawlowitsch in seinem makabren Job kein X für ein U vormachen, und nun plötzlich diese Zweifel. . .
»Die Pistole ist Grant also aus der Hand gefallen?«, fragte Katja. »Und er hat nicht einmal mehr Zeit gehabt, einen Schuss abzufeuern?«
»Es ist kaum anzunehmen, dass er sofort schießen wollte, Katja. Ich glaube, irgendetwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Aber es hat ihn nicht besonders erschreckt. Hätte er sich ernsthaft bedroht gefühlt, hätte er sich im Haus auf die Lauer gelegt und entweder sofort aus allen Rohren gefeuert, oder er hätte sich schnellstens in seine Karre gesetzt und wäre abgehauen. Aber er ist bloß nach draußen gegangen, um nachzusehen. Die Pistole hat er sowieso immer bei sich.«
»Wenn er draußen etwas gesehen hat, kann das nur von da aus gewesen sein.« Katja zeigte auf die mit Strohmatten verhängten Fenster der Veranda. »Durch die Ritzen wahrscheinlich . . . Hast du in Erfahrung bringen können, ob die Straße in der betreffenden Nacht von Laternen beleuchtet war?«
»Nein, es war dunkel. Auf dem Tisch haben wir die Überreste seiner Mahlzeiten entdeckt. Alles nur Vakuumverpackungen: Schinken, Fertigsuppen, Forelle, Brot, Kaffee. Verpflegung für genau vierundzwanzig Stunden. Danach wollte er. . .«
Kolossow stockte. Vorläufig brauchte Katja nichts davon zu wissen, dass er die Michailow-Bande verdächtigte, diesen Mord auf dem Gewissen zu haben. Chalilow prüfte bereits nach, ob die Michailow-Leute nur zum Schein versprochen hatten, den Killer binnen vierundzwanzig Stunden nach der Ermordung Sladkichs auszuzahlen, ihn in Wirklichkeit jedoch in eine tödliche Falle gelockt hatten. Vorläufig aber gab es noch keine Erkenntnisse; deshalb behielt er die Theorie lieber noch für sich.
»Ich versuche die ganze Zeit, mir vorzustellen, wie das passiert ist.« Katja bückte sich und berührte vorsichtig einen Blutfleck am Zaun. »Du sagst, diese Flecken können nicht dadurch entstanden sein, dass das Blut aus der Wunde gespritzt ist, weil sie zu weit von der Leiche entfernt sind. Aber das würde bedeuten, der Mörder hat die Flecken absichtlich auf dem Zaun hinterlassen. Das muss unbequem für ihn gewesen sein – sich so tief zu ducken und dabei zu hantieren.« Sie ließ sich im Gras auf ein Knie nieder. »Diese Stelle am Brennholz und am Zaun kann man nur erreichen, wenn man auf allen vieren kriecht.«
Sie schwiegen. Katja knipste eifrig mit dem mitgebrachten Fotoapparat. Kolossow haderte mit sich selbst. Da war er hergekommen, um alles in Ruhe zu überdenken und seine Schlüsse zu ziehen – und hatte nur Katja im Kopf. Doch er kam einfach nicht dagegen an.
»Und wohin jetzt?«, erkundigte Katja sich unschuldig. Irgendetwas musste sie fragen; er starrte sie so seltsam an.
»Aufs Revier.« Kolossow marschierte entschlossen zum Wagen zurück. Er wollte aus zwei Gründen zum Milizrevier in Rasdolsk: Er musste mit Spizyn besprechen, wie die Suche nach dem Täter oder den Tätern organisiert werden sollte, und er wollte sich genauer über die neuen Ermittlungsergebnisse informieren.
Die neuesten Nachrichten hatte ihm erst am Vortag ein Kollege aus der Abteilung für Vermisstenmeldungen und Identifizierung unbekannter Toter gebracht. Dieser Major Jegorow war nicht aus eigener Initiative in der Mordkommission erschienen, sondern befolgte eine entsprechende Dienstanweisung: Wenn in einem Bezirk ein Mord geschah, war seine Abteilung verpflichtet, sämtliche vorhandenen Informationen
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