Der kalte Kuss des Todes
Mörder, Grant. . . Bruch der Halswirbel, Riss des Kehlkopfs, Riss der Kopfschlagader. . .
Sie wollte schon eine Frage nach weiteren Einzelheiten stellen, doch Kolossow kam ihr zuvor: »Iwan Pawlowitsch, wie ist Ihrer Ansicht nach diese Risswunde an der Kehle entstanden?«
Der Arzt kaute nachdenklich auf einem Keks.
»Mit was für einer Waffe ihm diese Wunde zugefügt wurde, kann ich nicht sagen. Es muss ein ziemlich ungewöhnlicher Gegenstand gewesen sein. Das Fleisch ist buchstäblich herausgerissen! Übrigens haben wir Reste davon noch am Tatort gefunden, nicht weit von der Leiche entfernt. Es macht ganz den Eindruck«, der Alte sah zu Katja hinüber, »als sei es beabsichtigt gewesen, genau die Halsschlagader zu zerreißen.«
»Und wie viele Personen haben Ihrer Meinung nach Antipow überfallen?«, meldete Katja sich zu Wort.
»Einer, von hinten. Für das Opfer kam der Überfall völlig überraschend. Ich vermute, es wurde eine spezielle Kampfsporttechnik angewandt: ein fester Griff, eine jähe Drehung des Halses nach rechts und dann ein Ruck nach oben.«
»Das heißt, jemand hat ihm das Genick gebrochen. Mögliche andere waren vermutlich nur dabei, um Schmiere zu stehen.« Kolossow nahm Katja das Gutachten aus der Hand und gab es dem Pathologen zurück.
»Können Sie das nicht selber Kassjanow geben, Nikita?«, fragte der. »Er hat schon angerufen und um möglichst schnelle Erledigung gebeten. Ihr Kurier in der Staatsanwaltschaft ist zurzeit wohl krank und kann nicht kommen. Und dann geben Sie ihm das hier doch auch gleich.«
»Was ist das?« Kolossow betrachtete den kleinen Umschlag, der an die Papiere geheftet war.
»Das habe ich bei der zweiten Untersuchung von Antipows Leiche entdeckt. Es sind Haare.«
»Haare?«
»Genau. Ich habe sie auf seiner Hose und an seinem rechten Jackenärmel gefunden. Von dem Ermordeten dürften sie kaum stammen – er hat ganz kurze braune Haare. Die hier sind aber etwa fünf Zentimeter lang und viel heller. Und ihre Struktur. . . Ich habe alles so genau wie möglich beschrieben. Kassjanow kann ja die entsprechende Order geben, und ihr schickt sie zur Begutachtung. Für Haare bin ich leider kein Spezialist.«
Als sie das Büro des Pathologen verließen, dämmerte es bereits. Katja war nach diesem hektischen Tag todmüde. Der Benzingestank und das Gerüttel wegen der Schlaglöcher auf den Moskauer Landstraßen verursachten ihr Kopfschmerzen.
»Warum bist du so still geworden, Katja?«, fragte Kolossow, zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch zum Fenster hinaus. Rasdolsk lag schon gut zehn Kilometer hinter ihnen.
»Du hast gesagt, irgendwas sei faul an der Sache. Darüber denke ich nach.«
»Du weißt jetzt genau so viel über den Fall wie ich.«
Wohl kaum, dachte Katja. Denn du, mein Lieber, weißt im Unterschied zu mir das Allerwichtigste: Warum ihr so überzeugt seid, dass gerade Grant der Mörder von Sladkich ist. Wer den Auftrag für diesen Mord erteilt hat, für wen Grant gearbeitet hat. Das ist der Schlüssel zu diesem Fall, darauf muss man alle Theorien aufbauen.
»Setz mich nicht vor meinem Haus ab, sondern da vorn an dem kleinen Laden«, bat Katja, als sie in ihre Straße einbogen, den Frunse-Kai.
Zum Abschied blinkte Kolossow mit den Scheinwerfern. Katja schlüpfte rasch in den dunklen Hof: schon halb zehn, jetzt hätte gerade noch gefehlt, dass Wadim sie in der Gesellschaft von Nikita sah! Abends joggte er ja immer am Kai entlang. Die Beziehungen zwischen Katjas Freunden waren ziemlich kompliziert. Sergej stand mit Kolossow auf gutem, sogar freundschaftlichem Fuß. In einem für sie alle denkwürdigen Fall hatten die beiden einander sehr geholfen. Wadim dagegen, der den Chef der Mordkommission nur aus ihren Erzählungen kannte, lehnte es rundweg ab, ihm persönlich zu begegnen, und versäumte keine Gelegenheit, überhebliche oder giftige Bemerkungen über ihn zu machen.
Während Katja mit dem Aufzug in den vierten Stock fuhr, überlegte sie, was sie Wadim als überzeugenden Grund für ihr spätes Nachhausekommen auftischen könnte. Mit Kolossow wollte sie ihn nicht ärgern. Sie war entschlossen, ihren sensiblen Freund an diesem Abend mit Samthandschuhen anzufassen; schließlich reiste er ja am Mittwoch ab. Und sie hatten nur noch diese Nacht, den nächsten, mit Besorgungen ausgefüllten Tag und eine zweite kurze Frühlingsnacht.
7 Hetzjagd
Die Zeit von Dienstag bis Freitag zog sich für Katja endlos lange hin. Wadim flog am Mittwoch nach
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