Der kalte Kuss des Todes
warf im Rückspiegel einen flüchtigen Blick auf Dmitri und Katja. »Im Dunkeln und bei einem solchen Wetter kann ich mich schlecht orientieren.«
»Ihr fahrt bis zur Weggabelung. Da ist ein Schild. Links geht es nach Polowzewo, aber ihr müsst nach rechts abbiegen. Dann drei Kilometer geradeaus. Am Kontrollpunkt kommt ihr auf die Hauptstraße.«
»Polowzewo?« Katja zuckte zusammen. »Hier in der Nähe ist Polowzewo ?«
Deshalb also hatte sie den ganzen Tag das Gefühl gehabt, Gegenden zu sehen, durch die sie schon einmal gefahren war!
Sie hielten an der Pforte, und Dmitri stieg aus dem Wagen. »Auf Wiedersehen. Danke, dass ihr gekommen seid. Katja. . . Vater bittet dich, Andrej Krawtschenko auszurichten, dass er sehr gerührt ist. Er ruft ihn in den nächsten Tagen an.«
Katja wollte sich aus Höflichkeit noch einmal nach dem Befinden Wladimir Kirillowitschs erkundigen, der beim Essen gefehlt hatte, doch Dmitri hatte die Wagentür schon wieder zugeschlagen und war im strömenden Regen verschwunden.
»Na, wie waren deine Eindrücke?« Auf dem Rückweg fuhr Sergej langsam und vorsichtig.
»Gut, dass der Regen alle auseinander gejagt hat.« Ein Blitz zuckte auf, gefolgt von einem lauten Donnerschlag. Katja erschauerte und zog den Kopf ein. »O je, das erste Sommergewitter!«
»Und wie hat dir die Weihe gefallen?«
»Weißt du, was sie da deklamiert haben? Dieses › die Rüstung haben sie fortgeworfen ‹ und so weiter, das ist Snorri Sturluson, › Heimskringla ‹ . Ein skandinavischer Dichter und Historiograph. So spricht er von den Berserkern. Was für ein seltsamer Mischmasch, den Stepan bei dieser Weihe vorgeführt hat. Slawische Folklore mit Serben und Purzelbäumen über Messer und plötzlich diese Berserker. . . Berserker bedeutet übrigens unter anderem auch › Bärengewand ‹ .«
»Die Jungs wollen bloß ein effektvolles Schauspiel, das man so schnell nicht vergisst, mehr steckt sicher nicht dahinter. Das mit dem Abzeichen auf der Brust ist allerdings barbarisch. Aber Stepan ist nicht besonders originell, was das angeht. Wie es heißt, werden in den Eliteeinheiten die Neulinge auf die gleiche Weise getauft.«
»Ja, ich hab davon gehört.« Katja verzog das Gesicht. »Wieso lieben Männer das nur so – Blut, Schmerz, Schläge? Und all diese seltsamen Rituale. Übrigens wurden die Berserker in den Sagas manchmal als Tiermenschen geschildert. Sie kämpften wie wilde Tiere, verbissen sich in die Kehlen ihrer Feinde . . .«
Sie verstummte plötzlich und blickte in den Regen, der über die Windschutzscheibe strömte. Ein Wegweiser tauchte auf: »Polowzewo – 5 Kilometer«, mit einem weißen Pfeil, der nach links zeigte. Sergej bog in die andere Richtung ab, wie ihm gesagt worden war.
10 Operation »Falscher Demetrius«
Die Version, dass die Michailow-Bande hinter dem Mord an Grant steckte, war von der Staatsanwaltschaft und den Ermittlern von Anfang an als wichtigste Spur betrachtet worden und wurde sorgfältig überprüft, zunächst allerdings ohne besondere Eile. Dieser Spur ging Renat Chalilow nach, in dessen Arbeit sich Kolossow nicht einmischte. Er wusste, Renat sammelte Informationen und würde sie zur vereinbarten Stunde den Ermittlern auf den Tisch legen, detailliert aufgelistet und überprüft.
Aber es gab ein nicht unwesentliches Problem: Wie konnte man den Michailow-Leuten ihre Schuld überhaupt nachweisen? Der Killer, der den Auftrag ausgeführt hatte, war tot, womit ein nicht zu schließendes Loch in der Beweiskette klaffte. Eigentlich kam nur eine einzige Möglichkeit in Frage, die Bande in die Zange zu nehmen: Michailow und seinen Kumpanen die Bestellung der Waffe vom Typ Colt-Sporter nachzuweisen.
Das würde allerdings bedeuten, dass der sorgfältig getarnte V-Mann preisgegeben werden müsste, den man ins Netz des Untergrund-Waffenhandels eingeschleust hatte. Diesen Mitarbeiter als Kronzeugen der Anklage vor Gericht zu zerren war sowohl nach Ansicht der Miliz wie der Staatsanwaltschaft ein Fehler. Aber es gab keine andere Möglichkeit. Es handelte sich um einen Aufsehen erregenden Fall, über den sämtliche Massenmedien schon seit Wochen berichteten. Man warf den Justizbehörden bereits Ineffizienz und Unfähigkeit vor.
Die Verhaftung des Anführers der Michailow-Bande stellte für die Ermittler im Grunde keine besonders schwierige Aufgabe dar. Sie mussten nur auf eine passende Gelegenheit warten.
Über diese »Gelegenheit« – und noch einige andere Fragen – hatte
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